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Werkbetrachtung

Changement de pâturages

(dt.: Weidewechsel) von

Rosa Bonheur



Die auf den ersten Blick bukolische Szene könnte in Schottland passieren, auf einem See, der von einer nicht sehr hohen Bergkette umgeben ist. Ein Schäfer zieht mit seinen Schafen um. Er muss sich wohl ein anderes Weidegebiet suchen. Sein Ziel ist die andere Seeseite.



Changement de pâturages (dt.: Weidewechsel) von Rosa Bonheur | Bildquelle: Wikipedia


Mindestens 30 Schafe sind in dem nicht sehr großen Ruderboot zusammengepfercht. Sie liegen teilweise aufeinander, einige Füße und Köpfe hängen über den Bootsrand hinaus. Die Tiere ringen nach Luft. Unruhig oder aufgeregt scheinen sie aber trotzdem nicht zu sein. Sie dürften so einen Transport übers Wasser nicht zum ersten Mal machen und tragen diese für sie sicher unbequeme Reise mit Philosophie. Manche Tiere blicken auf den Betrachter. Das Boot liegt trotz Überbelastung nicht sehr tief im Wasser. Weiter hinten im Bild rudert ein weiteres Boot. Es ist fast an der Felsenzunge angekommen. Warum der Schäfer diese Reise tut, weiß man nicht. Vielleicht hat er seine Schafherde verkauft, vielleicht ist sein Weideland veräußert worden, oder er wurde enteignet. Vielleicht sind seine Weiden aber auch nur überschwemmt, und er kann später mit seinen Tieren zurückkommen. Eventuell macht er das jedes Jahr so, wenn der Regen einsetzt. Der Besitzer der Schafherde sitzt hinten im Boot. Er lässt sich von zwei einfacher gekleideten Männern rudern. Jung ist der Mann nicht mehr. Seine langen, grauen Haare reichen ihm bis auf die Schulter. Er trägt einen Kilt, der auf einen bestimmten Clan hinweisen könnte, eine für dort typische Mütze und eine blau-grün-karierte Jacke. Ein langes, kariertes Wolltuch hängt über seiner rechten Schulter und berührt beinahe das friedliche Gewässer. Der Schäfer trägt eine Stofftasche quer über der Brust und blickt nachdenklich und sehnsüchtig in die Ferne.

*

Die Schafzucht in Schottland hatte zum Entstehungszeitpunkt des Gemäldes Changement de pâturages (dt.: Weidewechsel) von Rosa Bonheur bereits eine enorme Bedeutung. Sie begann im 18. Jahrhundert in den Highland Clearances. Viele Menschen wurden damals nicht immer freiwillig und nicht immer korrekt umgesiedelt, da große Gebiete und unzählige Wälder gerodet werden mussten, um Weideflächen zu schaffen. Da ging es nicht immer friedlich und korrekt zu, und viele Menschen verloren ihre existenzielle Lebensgrundlage. Vielleicht hat die sozial und naturalistisch denkende Malerin mit ihrem Bild der Schafumsiedlung auf die damaligen Zustände der Menschen hinweisen wollen.

Das Bild hängt in der Hamburger Kunsthalle, misst 64 x 100 cm und entstand 1863.
Christa Blenk - 31. Juli 2024
ID 14856
Rosa Bonheur (1824-1884) war eine naturalistisch-realistische Künstlerin, Tochter des Landschaftsmalers aus Bordeaux Raymond Bonheur und einer Deutschen aus Altona, die als 33jährige an der Cholera starb. Als Kind hat Bonheur in Bordeaux den sich im Exil befindenden Spanier Goya kennengelernt. Sie war eine sehr mutige, fortschrittliche Frau und wurde von ihrem Vater, der sie auch unterrichtete, gefördert. Sie spezialisierte sich bald auf Tiermotive. Dabei blieb sie aber nicht, wie sonst bei weiblichen Künstlerinnen in dieser Zeit üblich, bei lieblichen Vogel- oder Fischmotiven. Rosa Bonheur malte Rinder, Pferde, Schafe, Löwen. Sie war eine emanzipierte, lesbische Frau, die 1857 offiziell erwirkte Männerkleidung tragen zu dürfen. Bonheur bekam von der Pariser Polizei eine Sondererlaubnis zum Transvestismus.

Als 17jährige stellte sie bereits im Pariser Salon aus. 1848 malte sie ihr erstes bekanntes Bild Boeufs et Taureaux, race du Cantal. Es folgten Werke wie Ackerbau oder Pferdemarkt. Ihr Erfolg stellte sich schnell ein. Heute hängen ihre Bilder unter anderem im Musée d’Orsay oder im Metropolitan Museum of Art. 1856 organisierte ihr belgischer Galerist, Ernest Gambart, eine Reise durch England und Schottland. Bonheur wurde der Königin vorgestellt und lernte bedeutende Kunstsammler kennen. Zurück kehrte sie in Begleitung von lebenden Tieren, die sie in ihrer Menagerie im Hof ihres Ateliers unterbrachte. Ihre Tierstudien betrieb sie sehr seriös und verbrachte viel Zeit in Zoologischen Gärten. Monatelang lebte sie auf einem Bauernhof und ging, meist in Männerkleidung, auf Pferdemärkte und in Schlachthöfe. Zimperliche Verniedlichungen gab es bei ihr nicht.

1849 löste Rosa Bonheur ihren Vater ab und wurde Direktorin der Ecole Impériale Gratuite de Dessin pour les Demoiselles in Paris. Ab 1860 widmete sie sich komplett der Malerei und avancierte zu einer der wichtigsten Malerinnen ihrer Zeit, die enorme wirtschaftliche Erfolge erzielte, in dem sie Tierporträts für kaufkräftige Auftraggeber in England und Amerika malte. Später zog sie sich auf ihr kleines Schloss mit Privatzoo am Rande von Fontainebleau zurück, das sie zusammen mit ihrer Freundin Nathalie Micas gekauft hatte.

1865 bekam sie von Kaiserin Eugénie das Kreuz der Ehrenlegion überreicht, als erste Frau überhaupt. Immer mehr interessierte sie sich für Großwild und bekam 1880 zwei Zirkuslöwen geschenkt und ein paar Wildpferde. Als 67jährige malte sie Bisons und Mustangs für die Wildwest Show von Buffalo Bill. Nach dem Tode von Micas, die sie schon als 14jährige kannte, begann Bonheur eine Beziehung mit der amerikanischen Malerei Anna Elizabeth Klumpke, die sie auch mehrfach porträtierte. Bonheur bestimmte Anna Klumpke zu ihrer Alleinerbin, was zu Kontroversen in der Familie führte. Anna Klumpke überließ dem französischen Staat 1933 zahlreiche Werke von Rosa Bonheur, die heute auf Château de By zu sehen sind. Klumpke schrieb außerdem eine Biografie in der Ich-Form über die Künstlerin.

Rosa Bonheur ist auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise begraben, neben ihrer langjährigen Freundin und Lebensgefährtin Nathalie Micas.


Wikipedia-Link zum "Weidewechsel"-Bild von Rosa Bonheur


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