Das letzte Abendmahl von
Fritz von Uhde (1848-1911)
|
Auf den ersten Blick kommen sie angepasst, brav, ja sogar bieder daher, die Gemälde von Fritz von Uhde. Seine impressionistischen Bilder würden sich sogar als kitschige Abziehbilder für Poesiealben eignen. Erst auf den zweiten Blick oder bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass es ihm um Menschlichkeit, um das gemeine Volk, um die ärmeren Schichten, die Bauern, die Näherinnen oder andere Minderprivilegierte geht. Ungeschönter Naturalismus ist verpönt, er passt nicht mehr zu den Gründerzeit-Gedanken. Dem zukünftigen Kaiser Wilhelm II. schlägt Fritz von Uhdes Proletarierkunst ziemlich auf den Magen. Der Kronprinz bezeichnet Uhdes Monumentalwerk Das letzte Abendmahl verächtlich als „Anarchistenfraß“.
|
Das letzte Abendmahl von Fritz von Uhde (1848-1911) | Bildquelle: Wikimedia
|
Im Gegensatz zu italienischen Interpretationen oder früheren Versionen des Abendmahl-Themas malt Fritz von Uhde Jesus von hinten, besser gesagt im Halbprofil:
Grauweißes, diffuses Licht fällt durch das große Sprossenfenster auf der linken Seite des Gemäldes und bringt das milde, jugendliche Gesicht Jesus‘ sowie seine linke Hand, die einen Kelch umschließt, zum Leuchten. Hinter dem Fenster erkennt man eine niederländische Ortschaft mit Windmühlen. Leicht erhöht, so scheint es, sitzt Jesus wie ein Fels in der Brandung am Tisch. Sein rotes Hemd ist sauberer als die Kleidung der ihn umgebenden Jünger, die ihn aufmerksam, ja gebannt anschauen. Einige stehen, andere sitzen, beten oder blicken nach unten. Die Männer blicken besorgt, erschüttert. Von Uhde malt hier eine Pause. Niemand sagt etwas. Vielleicht verdauen sie gerade den Satz von Jesus „Einer von Euch wird mich verraten.“ Sie denken darüber nach und fragen sich, wer derjenige wohl sein könnte. Trauen es keinem und sich selber am wenigsten zu. Rechts von Jesus versteckt ein junger Apostel sein auf dem Tisch liegendes Gesicht hinter seinen Händen. Ist es Judas, den eine Ahnung heimsucht und der seine Tat schon im Voraus bereut? Von Uhde hat die Abendmahl-Szene in eine Art Bauernstube verlegt. Auf dem langen Holztisch liegt eine weiße, einfache, aber reine Tischdecke. Ansonsten ist die Stube schlicht, aber nicht miserabel. Das Gegenlicht verschluckt die Möbel an den Wänden. Man will fast die Augen zusammen kneifen. Über dem Tisch hängt ein einsamer Kronleuchter mit drei Lichtquellen. Vor einigen Männern steht ein Becher. Ein paar Stücke Brot liegen achtlos herum. Die meisten der Jünger sind ärmlich gekleidet, wirken unsauber, schlecht rasiert, ungekämmt. Jesus inmitten des Proletariats. Es ist armseliges Gesindel, das da an seinen verschlossenen Lippen hängt.
Christus des Viertes Standes nennt man das Gemälde auch. Der treueste unter den Jüngern, Petrus, sitzt links am Kopfende des Tisches. Er trägt ein gestreiftes Kleid. Angeblich soll er einem Zuchthausknaben oder stadtbekannten Verbrecher ähnlich sehen. Petrus könnte aber auch die Gesichtszüge des Komponisten Bruckner tragen. Ihn lernt Fritz von Uhde ein paar Monate vorher in München anlässlich eines Konzertes kennen. Das letzte Abendmahl ist dem Naturalismus zuzuordnen. Man kann den Einfluss von Menzel in von Uhdes Werk sehen. Auch wenn ihm das auch wieder Kritik einbringt. Der Münchner Akademiedirektor Wilhelm von Kaulbach soll einmal „Pfui Teufel, das sieht ja ganz aus wie Menzel“ gesagt haben. Mit dem Naturalismus steht auch die Kurie auf Kriegsfuß. Das war schon bei Caravaggio so, dessen Madonna mit den schmutzigen Füßen von der Kirche abgelehnt wurde. Wie kann ein Sohn aus solidem, evangelischem Hause so etwas Profanes auf die Leinwand bringen, fragt man sich in den vornehmen Kreisen. Die selbsternannten und arroganten Kunstkenner verlangen frische, adrette Menschen für so bedeutende Gemälde und können es nicht ertragen, dass von Uhde die Geschichte aus dem Neuen Testament mit Protagonisten der Unterschicht nachspielt. Fritz von Uhde nimmt das Unverständnis und die Angriffe von höchster Stelle mit Gelassenheit.
Das letzte Abendmahl entsteht 1886, misst 206 x 324 cm und hängt in der Staatsgalerie Stuttgart.
|
Christa Blenk - 4. September 2024 ID 14902
Zwei Jahre vor dem Gemälde Das letzte Abendmahl entsteht Fritz von Uhdes erstes religiöses Werk: Lasset die Kindlein zu mir kommen ist ebenfalls ein großformatiges Werk. Es wurde über 10.000 Mal reproduziert und zum gefragtesten religiösen Bild seiner Zeit.
Im Revolutionsjahr 1848 wird Fritz von Uhde als Sohn in eine alt-ehrwürdige Kaufmannsfamilie in Sachsen hineingeboren. Sein Vater ist als Jurist und Präsident des Evangelischen Landeskonsitoriums in Sachsen tätig; die Familie seiner Mutter kommt ursprünglich aus Frankreich. Ein paar Monate Studium an der Akademie in Dresden entmutigen ihn, ja entfernen ihn von der Kunst. Von Uhde schließt sich als 19jähriger einem Gardereiterregiment an und wird Leutnant. Er sammelt Eindrücke, skizziert und entdeckt den Realismus, die Farbe und das Grauen. Ein paar Jahre später quittiert er den Militärdienst und verschreibt sich endgültig der Kunst. Die Kriegseindrücke lassen ihn aber so schnell nicht los. Nachdem ihn einige der damals einschlägigen Lehrer ablehnen, geht er nach Paris. Ein Jahr später freundet er sich in München mit Liebermann an und wird mit Letzterem, Corinth und Slevogt Mitbegründer der Münchner Secession. Auf Anraten von Franz von Lenbach studiert er die alten Meister in der Münchner Pinakothek. Vor allem die alten Niederländer faszinieren ihn. Ein Aufenthalt in den Niederlanden lässt seine Farbpalette ein wenig heller werden. Nach dem Tode seiner Frau kauft von Uhde ein Haus am Starnberger See. Er malt immer mehr im Freien, lässt helle, grelle Farben auf die Leinwand. Sein naturalistischer Stil mündet in den Impressionismus. In seinem Garten malt er seine drei Töchter unter einem von schimmernder Sonne durchtränkten Blätterdach. In München wird ihm der Titel "Königlicher Professor" verliehen, der mit der Erteilung eines Lehrauftrages einher kommt. Ein paar Jahre vor seinem Tod 1911 wird er Ordentliches Mitglied des Deutschen Künstlerbundes in München. Obwohl es der Künstler nicht fertig bringt, die religiöse Kunst um die Jahrhundertwende wieder anzukurbeln, muss er durchaus als Vorläufer der modernen, expressionistischen Kirchenmalerei bezeichnet werden.
Wikimedia-Link zum Letzten Abendmahl
Post an Christa Blenk
eborja.unblog.fr
Ausstellungen
Kulturspaziergänge
Museen
Werkbetrachtungen
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
AUSSTELLUNGEN
BIENNALEN | KUNSTMESSEN
INTERVIEWS
KULTURSPAZIERGANG
MUSEEN IM CHECK
PORTRÄTS
WERKBETRACHTUNGEN von Christa Blenk
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|