Das Auswerfen der Netze
von Suzanne Valadon
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Paris, wie wir es heute kennen, entstand ab Mitte des 19. Jahrhunderts unter dem Architekten und Stadtplaner Baron Haussmann. Diese architektonischen Veränderungen trieben die Wohnungspreise in der Hauptstadt in die Höhe und die Pariser aus der Unter- und Mittelschicht in die naheliegenden Dörfer wie Montmartre.
La Butte de Montmartre (der Montmartrehügel) wurde in der Belle Epoque zum Brennpunkt der Avantgarde. Verrucht, anstößig, prickelnd und ein wenig gefährlich. Oberhalb des halbseidenen und lasterhaften Vergnügungsviertel Pigalle wurde 1875 der Grundstein für die Wallfahrtskirche Sacré-Cœur de Montmartre gelegt, und genau dort siedelten sich Ende des 19. Jahrhunderts die bedeutendsten Künstler der Zeit an und führten ein atemloses, kreatives und intellektuelles Bohemien-Dasein. Wenn sie den Berg hinunter nach Paris wollten, mussten sie allerdings durch Matsch stapfen. Die romantischen Treppen, auf denen sich heutzutage die Touristenströme nach oben schieben, um Kitsch zu kaufen oder den grandiosen Blick über Paris zu genießen, wurden erst später gebaut. In diesen Pariser Vorort verschlug es auch eine Wäscherin aus dem französischen Zentralmassiv, die sich dort mit ihrer kleinen, unehelichen Tochter Marie-Clémentine Valadon (den Namen Suzanne gab ihr später Toulouse-Lautrec) niederließ.
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Suzanne Valandon (1865-1938) wurde mit 15 Jahren Modell der damals bekanntesten Pariser Maler. Wir finden sie auf Bildern von Renoir, Puvis de Chavannes, Toulouse-Lautrec und Modigliani wieder. Frei, hemmungslos und unabhängig kümmerte sie sich wenig um Konventionen und wurde die Geliebte von Renoir, Toulouse-Lautrec und Eric Satie, den sie 1893 in ihrem ersten Ölbild verewigte. Mit 17 brachte sie einen unehelichen Sohn zur Welt. Sie nannte ihn Maurice, und der spanische Journalist Utrillo erkannte ihn als seinen an.
Ein paar Jahre später dreht sie den Spieß um, und aus dem Modell Suzanne wird die Vorzeigemalerin und Autodidaktin der Belle Epoque, die die bourgeoisen Konventionen über den Haufen wirft und einen Mann zum passiven Objekt der Lust macht. Schon 1909 malt sie sich mit André Utter als Adam und Eva und lässt Beide nach dem Apfel greifen. Der junge Utter, Freund ihres labilen und süchtigen Sohnes, wird ihr Modell und Geliebter, und er ist es auch, den sie auf dem Bild Das Auswerfen der Netze (frz.: Le lancement du filet) 1914 gleich dreimal in unterschiedlichen Posen malt.
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Das Auswerfen der Netze (1914) von Suzanne Valadon | Bildquelle: Wikipedia
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Schon der Titel dieses großformatigen Werkes sagt aus, dass Valadon hier vor allem an Bewegungsabläufen interessiert ist. Ganz links sieht man Utter nur von hinten, in der Mitte von der Seite und rechts von vorne. Das Standbein ist jeweils das linke. Das Bild ist eine durchkomponierte, archaische Choreografie, aufgeführt von drei nackten Männern, die spielerisch versuchen Ordnung in einer Fischernetzlandschaft zu machen. So wie die jungen und muskulösen Männer mit dem Netz umgehen, wollen sie es nicht ins blaue, liebliche Nass werfen, sondern sich damit amüsieren oder zeigen, wozu ihre Körper fähig sind. Suzanne Valadon zitiert hier das Matisse-Bild Der Tanz und greift auf Cezannes Farbenwelt zurück. Mit den schwarzen Konturen verleiht sie den Körpern mehr Volumen, das hat sie von Degas und Toulouse-Lautrec gelernt. Während die sanften Brauntöne direkte Sensualität und Wärme verbreiten, weisen die Masken-Gesichter darauf hin, dass die Revolutionierung der Kunst durch Picassos Bild Les Demoiselles d’Avignon stattgefunden hatte.
Beim Salon des Indépendants 1915 wurde nicht nur Le lancement du filet gezeigt. Das Trio Infernal de Montmartre (Valadon, Utrillo, Utter) war en famille mit Werken dort vertreten. Arthur Cravan kritisierte ihr Bild und beleidigte öffentlich die Künstlerin, was ihm eine Verleumdungsklage einbrachte.
Das Gemälde hat mit 201 x 301 cm fast die Maße eines Historienbildes und hängt im Museum der Schönen Künste in Nancy. Es war ihr letztes männliches Aktbild. Kurz nach Fertigstellung heiratet sie André Utter, bevor dieser in den Krieg ziehen muss. Dann konzentriert sie sich vor allem auf Frauenakte oder ungeschönte und schonungslose Selbstportraits und Zeichnungen.
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Christa Blenk - 16. Mai 2020 ID 12243
Suzanne Valadon, die nie eine Kunstakademie besuchen konnte, aber eine großartige Beobachterin war, gängelte sich im Laufe ihrer Malerinnenkarriere an Ingres, Cezanne, Matisse, Toulouse-Lautrec, Degas und Gauguin entlang, um bei ihrem ganz eigenen Stil anzukommen. Degas war es auch, der ihr Talent schnell erkannte, sie sehr unterstützte und ihr als erster ein Bild abkaufte.
Der Galerist und Kunstkritiker Adolph Basler hat einmal gesagt: „Ihre Gemälde singen mit krächzender Stimme, aber sie singen.“ 1964 schaffte es Suzanne Valadon auch noch auf die documenta III, und dann wurde es stiller um sie. Heute spricht man von ihr als Mutter von Maurice Utrillo, der ihr als Maler mit seinen Postkartenansichten nicht das Wasser reichen konnte.
Sie war laut Ausweis nur 154 cm groß, hatte eine kleine schiefe Stupsnase und blaue Augen. Sie hinterließ fast 500 Gemälde und an die 300 Zeichnungen. 1894 wurde sie als erste Frau in die Societé Nationale des Beaux-Arts aufgenommen – drei Jahre bevor dies anderen Frauen zugestanden wurde. Sie hatte immer die Bewunderung ihrer Malerkollegen. Ein junger Gitarrenspieler war ihr letzter Liebhaber. Mit 73 Jahren verstarb sie 1938 in Paris, während sie gerade ein Bild malte.
Link zum Bild Das Auswerfen der Netze
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