Die Dorfpolitiker
von Wilhelm Leibl
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Ein einfaches Wirtshaus in Oberbayern, irgendwo am Ammersee oder am Chiemsee, es tut nichts zu Sache. Fünf Männer sitzen konzentriert in einer Ecke. Einer von ihnen ist der Wirt. Wenn sie nicht so schlampig angezogen wären, könnte man sie für die Dorf-Honoratioren halten. Aber sie sehen nicht so aus, als ob sie etwas zu sagen hätten. Diese Männer besitzen keine Macht und scheinen das, was sie gerade lesen, eher schwer zu verstehen. Der zweite Mann von links mit der hellen Schlafmütze und dem roten Pullover scheint die besten Augen zu haben und hält das Papier oder die Zeitung in der Hand, der Wirt neben ihm schaut zu. Er trägt keine Schuhe, sondern nur dicke Socken und denkt wohl eher an das Bier, das er verkaufen möchte, aber es gibt ja gar keinen Tisch, auf dem man eine Maß Bier abstellen könnte. Der Mann in der Mitte könnte ein Gemeindediener sein, vielleicht kam er mit der brisanten Nachricht und hat das Treffen in der Früh einberufen. Seine Hand ruht bedächtig auf einem Gehstock. Der zweite Mann von recht stützt sich ebenfalls auf seinen Krückstock. Er blickt besonders misstrauisch drein und kann, so wie der Alte neben ihm, das Papier nur von hinten sehen. Die beiden warten skeptisch-interessiert, bis man sie über das Gelesene informiert. Die Stube ist nicht im Geringsten dekoriert. Die Wände schmutzig-weiß. Die Bauern sitzen auf hellen Holzbänken, alle Fünf tragen eine Kopfbedeckung und sind relativ alt. Links außen sieht man ein wenig durch das Fenster in den Tag. Warm scheint es auch nicht zu sein in dieser Wirtshausstube, vielleicht sitzen die Männer ja auch in einem ungeheizten Hinterstüberl. Jedenfalls haben sie allesamt weder ihre schweren Joppen noch ihre Mützen abgelegt. Andere Gäste sieht man nicht.
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Die Dorfpolitiker von Wilhelm Leibl | Bildquelle: Wikipedia
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Um eine Dorfangelegenheit scheint es sich jedenfalls nicht zu handeln, denn die würden sie ohne Zeitung kommentieren. Es ist nicht mal ein Wirtshausgespräch, denn die urtypisch-ländlichen Originale reden nicht miteinander. Die Anspannung im Bild zeugt eher von schlechten Nachrichten. Etwas, das in der Welt, sonst wo in Bayern oder in der Hauptstadt passiert ist. Vielleicht lesen sie aber auch einfach nur über die Erfindung des Telefons, über das Berliner Rohrpostnetz oder über die Afrikareise von Stanley. Möglicherweise ist die letzte Fahrt des Königs Ludwig II. zur Generalprobe der Bayreuther Festspiele das Thema. Es war die Zeit, in der das Bier noch dunkel und die Menschen noch typisch waren, hätte es beim Königlich Bayerischen Amtsgericht geheißen, und es war die Zeit des kitschigen Neuschwanstein-Märchenkönigs Ludwig.
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Wilhelm Leibl (1844-1900) malt wie immer den ungeschönten Alltag in einem Bauerndorf, die Männer im Wirtshaus, die Frauen wahrscheinlich zu Hause am Herd oder im Stall. Das Stück Papier könnte natürlich auch ein Bauplan sein, es geht vielleicht um Grund oder Grundstücke. Gut möglich, dass eine Eisenbahntrasse am Dorf vorbei führen wird und man ein Geschäft wittert. Das würde die angespannte Brisanz im Bild erklären.
Er hat sein Bild zuerst Neueste Nachrichten und dann Bauern im Gespräch getauft. Der Titel Die Dorfpolitiker kam erst später und ist eher ein ironischer. Das zeigt ja auch schon, dass er sich gar nicht entschieden hat, was die Männer lesen. Es sind ruhige Bilder wie dieses, die ihn zu einem der wichtigsten Vertreter des Realismus in Deutschland machen und ihn in die Kategorie der Chronisten katapultieren.
Leibl hat sein Bild farblich sehr harmonisch, mit sicherem Pinsel und viel Detail, fast wie bei den alten Flamen, komponiert. Eingerahmt ist die Szene von Blautönen, dann leuchtendes Rot in der Kleidung des jeweils zweiten Mannes von rechts und links und die weiße Schürze des Wirtes, die dem Bild Helligkeit gibt. Besonders gelungen ist ihm die Choreografie der Hände. "Ich möchte mein Leben lang nichts als Porträts mit schönen Händen malen", soll Leibl auch einmal gesagt haben.
Seiner Mutter hat der Künstler seinerzeit geschrieben, dass die fünf Bauern die Köpfe zusammenstecken und er sie, die Bauern, aber auch die Gaststube, möglichst naturgetreu gemalt hätte.
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Christa Blenk - 18. September 2021 ID 13150
Der Franzose Gustave Courbet hat Wilhelm Leibl 1870 in Paris entdeckt, beeinflusst wurde dieser vor allem von Manet, und Van Gogh hat ihn bewundert. Aus der großen Karriere in Paris wurde dann aber doch nichts, denn der Krieg hat ihn 1870 wieder nach Hause geholt, wo man ihn ungerechterweise den "Bauernmaler" nannte. Dabei malte er weder röhrende Hirsche noch schneebedeckte Berge oder fesche Burschen und Mädel beim Maitanz, und auch Kuhstall-Mist-Romantik lag ihm fern. Nach seinem Paris-Aufenthalt nimmt Leibls Malerei kurzfristig impressionistische Züge an, diese Tendenz verlässt er aber schnell wieder und blieb ein Menschenmaler.
Geboren wird Leibl in Köln. Als knapp 20jähriger geht er nach München auf die Akademie. Eines seiner berühmtesten Zitate lautet: "Man male den Menschen so wie er ist, da ist die Seele ohnehin dabei."
Das Bild Die Dorfpolitiker entsteht 1877, hängt in Winterthur/Schweiz und misst 76 x 97 cm.
Wikipedia-Link zu den Dorfpolitikern von Wilhelm Leibl
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