The Life Line von
Winslow Homer (1836-1910)
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In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründete Thomas Cole (1801-1848) die erste Schule der Malerei in den USA: Die Hudson River School an der Westküste folgte unter anderem dem Modell der französischen Schule von Barbizon. Die Natur war ihr Motiv, und so wurden ihre Inspirationsquellen die Meister der Landschaftsmalerei: der Franzose Claude Lorrain und der Brite John Constable. Die Mitglieder der Hudson River School interpretierten und definierten die amerikanische Romantik und malten den Hudson River, die Catskill und Adirondack Mountains oder die Niagarafälle an der kanadisch-amerikanischen Grenze. Die Idylle der Entdeckung, der Erforschung und der Besiedlung von Amerika und der Wunsch, Mensch und Natur zu vereinen, waren ihre Maxime. Die akademische, konventionelle, romantische oder idealisierende Umsetzung der im Freien und auf Expeditionen gesammelten Eindrücke fand allerdings zuhause, im Atelier, statt.
Der amerikanische Künstler, Chronist und Illustrator Winslow Homer (1836-1910) gehörte zur Nachfolgegeneration dieser Schule. Nach einer Seenotrettung in Atlantic City, der er 1883 beiwohnte, entstand das Bild The Life Line:
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The Life Line von Winslow Homer | Bildquelle: Wikipedia
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Der Atlantik ist gewaltig, unbezwingbar, gnadenlos. Es scheint später Nachmittag zu sein. Blau-weiß-grau sind die Hauptfarben in diesem Gemälde. Nur ein roter Schal, der für die Anonymität des Retters verantwortlich ist, bringt einen Farbkleks in das Bild. Mächtige Wellen und ein rauer Seegang haben ein Schiff vor der Felsenküste zum Kentern gebracht. Winslow Homers auf das Wesentliche reduzierte Komposition setzt den Betrachter mitten ins Geschehen. Die Rettung gestaltet sich kompliziert aber mit Hilfe einer neuen Technik, der Homer die Hauptrolle in seinem Bild gibt, können die Personen von diesem havarierten Schiff in Sicherheit gebracht werden. Die Hosenboje ist eine Innovation in der Seenotrettungstechnologie. Sie ermöglicht es, Schiffbrüchige über eine Leinenverbindung zwischen zwei Schiffen oder zwischen Küste und Schiff in Sicherheit zu bringen. Dazu wird mit einem Geschütz als erstes ein dünnes Seil zum gestrandeten Schiff geschossen. Die Vorrichtung besteht aus zwei Leinen und einem Flaschenzug sowie einem Rettungsring mit angenähter Hose. Homer deutet links das gestrandete Segelschiff an. Der zweite Fixpunkt scheint sich rechts irgendwo auf den Felsen oder an der Küste zu befinden. Der Retter steckt in der Hosenboje. Sein linker Arm umschließt die Frau, die auf dem Schwimmring liegt. Sie berührt das Wasser nicht. Ihre nassen Kleider kleben an ihrem Körper. Ihr rechter Arm fällt leblos herunter, aber mit ihrer linken Hand umfasst sie oben eines der vier Taue, die die Hosenboje halten. Der rechte Lederstiefel des Retters hängt bis zum Knie im Wasser. Homer malt sehr präzise die Flaschenzugvorrichtung und die horizontal das Bild teilenden, braunen, groben Stricke. Man kann die Konstruktion nachvollziehen. Das gestraffte, dünnere Seil, das rechts ins Bild kommt und unter dem Flaschenzug an einem Ring befestigt ist, bringt die beiden ans Land. Sein Pendant, ebenfalls im Ring verknotet, liegt noch links im Wasser und kommt erst dann zum Einsatz kommen, wenn der Retter die Frau in Sicherheit gebracht hat und auf das sinkende Schiff zurückmuss. Beide besetzen von links nach rechts gleitend und eingerahmt von der Legende des Geschehens sowie einer Felsenküste im Hintergrund, prominent die Mitte des Gemäldes. Wahrscheinlich handelt es sich um Passagierschiff, denn anders wäre die zu rettende Person keine Frau. Mit kräftigem Pinselstrich erzählt Homer sehr realistisch und beeindruckend diesen – so wie es aussieht - erfolgreichen, gefährlichen Einsatz zwischen titanischen Wellen, spitzen Felsen, starkem Sturm und rosaroter schäumender Gischt.
Das Bild The Life Line (Die Rettungsleine, 1884) hängt im Philadelphia Museum of Art und misst 72,7 x 113.7 cm. Es zählt zu den epischen Hauptwerken des Künstlers und wurde direkt am ersten Tag der Ausstellung für 2.500 US$ verkauft. Die Käuferin, Catherine Lorillard Wolfe, erwarb mit diesem Werk das erste amerikanische Kunstwerk für ihre Sammlung. Das Bild wurde von den Kritikern aufgrund seines "heroischen, zeitgenössischen Themas und wegen seiner malerischen Virtuosität und detaillierten Beobachtung" als wichtiger Beitrag zur lokalen Kunst gelobt.
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Viele Schiffe strandeten noch bis ins 20. Jahrhundert in Küstennähe und zerschellten an Felsen. 1865 setzte die in Kiel gegründete Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zum ersten Mal die Hosenboje ein. Vorgängermodelle hat es aber schon in England gegeben. Mit dieser, im Winter durchaus riskanten, Hosenbojen-Technik konnten ab 1865 viele Menschenleben gerettet werden.
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Christa Blenk - 5. November 2023 ID 14460
Der amerikanische, romantische Realist Winslow Homer bereist Frankreich, England und die Karibik. Neben lichtdurchfluteten Badeszenen, kitschigen Genrebilder, brodelnden Meereslandschaften oder üppiger Vergetation nimmt er sämtliche Probleme in den Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert – und das oft mit viel Pathos - auf und behandelt den Bürgerkrieg (Prisoners from the Front, 1866), den Wiederaufbau danach, den Kampf ums Überleben der Sklaven, der Bauern (The Reaper, 1878) und Fischer (Three Fisher Girls, 1881), die Naturgewalten am Atlantik (The Fog Warning, 1885) und sogar klimatische Besonderheiten (Gulf Stream, 1899). Letzteres zählt zu Homers Hauptwerken. Der Begriff "Konflikt" zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben. Nach der Lehre bei einem Lithografen in Boston geht er 1859 nach New York und lebt mit anderen Mitgliedern der National Academy of Design in Greenwich Village. 1861 zeichnet er Abraham Lincolns Amtseinführung in Washington. Den Amerikanischen Bürgerkrieg erlebt er hautnah an den Frontlinien als Pressezeichner von Harpers Weekly. Er selber segelt mit der Armee auf dem Potomac River und dokumentiert intensiv die körperlichen und seelischen Zustände der Soldaten in den Schlachten, darunter auch die von Fair Oaks. Später, in der Künstlerkolonie Keene Valley, fängt er an sich für die menschliche Figur zu interessieren, und Menschen nehmen immer mehr eine prominentere Rolle vor opulenten Landschaften oder gigantischen Naturereignissen ein. Winslow Homer selber schottet sich immer mehr von der Welt ab und stirbt 1910 im Alter von 74 Jahren in Prouts Neck/Maine. In die Moderne haben es seine Bilder allerdings nicht geschafft.
Wikipedia-Link zu The Life Line von Winslow Homer
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