Rundgang durch drei bemerkenswerte
Ausstellungen im HAMBURGER BAHNHOF
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Bewertung:
Nach dem Ende der coronabedingten Schließungen kann das Publikum seit Mitte Mai wieder mit tagesaktuellem Negativ-Test und Zeitfensterticket die Berliner Museen besuchen. Dazu gehört auch der HAMBURGER BAHNHOF als einer der Ausstellungsorte der Stiftung preußischer Kulturbesitz. Und während der Westflügel des Staatlichen Museums für Gegenwartskunst noch für den Aufbau der großen Jubiläums-Schau zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys gesperrt ist, sind in den anderen Teilen des Hauses drei weitere durchaus hochkarätige Ausstellung zu besichtigen...
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Bei immer noch geschlossenen Filmlichttheatern bietet sich den Freunden von Film- und Videokunst in der Historischen Halle ein ganz besonders Spektakel. Pauline Curnier Jardin, die Gewinnerin des Preis der Nationalgalerie 2019, zeigt hier die anlässlich ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland entstandene filmische Installation Fat to Ashes. Dazu hat die französische Künstlerin ein raumgreifendes Amphitheater umhüllt mit farbigen Plastikplanen gebaut, in dessen Zentrum die Videoinstallation als Schleife läuft. Auf den Rängen können pandemiebedingt eine begrenzte Anzahl von ZuschauerInnen das aus drei filmischen Momentaufnahmen zusammengeschnittene Video sehen.
Spektakel ist hier nicht zu viel gesagt, handelt es sich doch um Szenen aus einer Prozession zu Ehren der Heiligen Agatha im sizilianischen Catania. Die katholische Märtyrerin und Schutzpatronin der Stadt wurde 251 auf Befehl des römischen Stadthalters Quintianus, nachdem sie dessen Werbungen widerstand, auf glühenden Kohlen zu Tode gefoltert. Vorher ließ Quintianus ihr noch eine Brust abschneiden; die Brust gilt als Attribut der Heiligen und findet sich in Abbildungen und sogar in Form von kleinen Törtchen wieder. Das mehrtägige Fest in Catania ist, wie man gut sehen kann, mehrheitlich männlich dominiert, was bis zu kleinen Schauspielen des Martyriums reicht. Dagegen werden immer wieder Bilder aus dem feuchtfröhlichen Kölner Straßenkarneval mit grölenden Jecken und das traditionelle Schlachten einer Sau auf einem Bauernhof geschnitten. Der martialisch wirkende Zusammenschnitt der Massenspektakel verfehlt als filmische Wiedergabe von Traditionen, Mythen und Riten gerade in Zeiten von strikter Kontaktarmut auf Dauer seine Wirkung nicht.
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Fat to Ashes von Pauline Curnier Jardin | Foto: Stefan Bock
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Wie 2020 erst der GROPIUS BAU mit Down to Earth, zeigt nun auch der HAMBURGER BAHNHOF sein Interesse für Ökologie und die Reflexion von Umweltsünden in der Bildenden Kunst. Mensch, Technik und Umwelt stehen im Mittelpunkt der wohl letzten kuratierten Präsentation der Friedrich Christian Flick Collection in den angrenzenden Rieckhallen. Das Schicksal der Hallen ist im Gegensatz zur Sammlung des Flick-Erben, die im Herbst den Hamburger Bahnhof verlassen wird, noch nicht ganz besiegelt. Der drohende Abriss durch Bau-Investoren kann eventuell doch noch durch einen Ankauf des Bundes verhindert und somit der Skandal um die Versäumnisse zur Klärung der Besitzverhältnisse der einst aufwendig für die Sammlung sanierten Ausstellungshallen getilgt werden.
Unter dem Titel Scratching the Surface stehen historische Positionen seit den 1960er Jahren aus Land Art, Arte Povera und Konzeptkunst neben zeitgenössischen künstlerischen Auseinandersetzungen mit den Themen Ökologie und Umwelt. Der krisengeschüttelte Erdball als mit „internationalem Sandpapier“ aus Mineralproben aus allen von der UN anerkannten Ländern der Welt abgeschmirgelte Globen zeigt der Schweizer Land Art- und Installationskünstler Julian Charrère in seiner Installation We are all Astronauts. Die Menschheit als Passagier und Lenker des Raumschiffs Erde hatte aus Sicht des politischen Künstlers Klaus Staeck schon in den 1970er Jahren versagt. Eine umfangreiche Sammlung seiner kritischen Plakate zum Thema Umweltkatastrophen, Artensterben und industrieller Raubbau ziert hier die Wände. Der Mensch als Maschine und die Technisierung der Landwirtschaft schlagen ihre Schneisen durch die Bilder von Bettina von Arnim und Konrad Klapheck.
Fluoreszierend Bohrkerne, Ein Iglu aus Schieferplatten, Torf aus einem englischen Moor und Erde aus Monokulturplantagen sind die Materialien, aus denen Joanna Hadjithomas & Khalil Joreige, Mario Merz, Richard Long und Diana Barquero Pérez ihre Installationen und Objekte kreieren. Auch akustisch lässt sich die geplagte Umwelt vernehmen, etwa mit Stimmen ausgestorbener Vogelarten in der Sound-Installation von Naufus Ramírez-Figueroa. Und ein ganzes Underground Orchestra von Glocken schlagenden Präriehunden als Künder von durch eine Erdölpipeline bedrohter Lebensräume in North Dakota lässt der japanische Küntler Tsubasa Kato in seinem Video auftreten.
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Scratching the Surface, Ausstellungsansicht, Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin, 2021 | (C) Nationalgalerie - Staatliche Museen zu Berlin / Mathias Völzke
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Nur noch kurz ist die Ausstellung der in Paris lebenden chinesischen Malerin Xinyi Chen im Ostflügel des HAMBURGER BAHNHOFS zu sehen. Ihre farblich sparsame und sehr intim wirkende Portrait-Malerei, bei der zumeist Personen aus dem Bekanntenkreis der Künstlerin Modell gestanden haben, lässt sich am ehesten noch mit Werken der wesentlich berühmteren Malerkollegen David Hockney oder Alex Katz vergleichen. Das Arbeiten nach zuvor aufgenommen Fotografien kennt man vor allem von Hockney. Sehr flächig auch der Farbauftrag von Xinyi Chens Bildern, die die Abgebildeten bei verschiedensten Tätigkeiten zeigen, wie etwa dem Anzünden von Zigaretten, beim Sport oder in speziell gestellten fast schon ikonischen Posen. The Horse with Eye Blinders, Titel der Ausstellung, ist das zugleich seltsamste der Bilder, die alle die Phantasie der sie Betrachtenden anzuregen wissen.
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Xinyi Cheng, The Horse Wearing a Red Ear Bonnet and Eye Blinders, 2020, Öl auf Leinwand,160 x 145 cm | (C) Foto: Aurélien Mole, Courtesy the artist / Balice Hertling
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Stefan Bock - 5. Juni 2021 ID 12953
Weitere Infos siehe auch: https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/hamburger-bahnhof/home/
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