Religiosität
im Schaffen
Beuys´
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Joseph Beuys, porträtiert von (C) Lothar Wolleh Estate
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Bewertung:
Kunst und Kirche verbindet seit jeher einiges. Kaum ein Gotteshaus kommt ohne bildliche Darstellungen des Leidens Christi aus. Aber während die Kunst in Pandemiezeiten höchstens mal am Rande erwähnt wird und nicht als täglich Brot zum systemrelevanten Nahrungsmittel gehört, können die Kirchen zumindest nicht klagen und sind zur Religionsausübung - anders als die Museen im Lockdown - weiterhin für alle zugänglich. Schön, wenn sich dann doch der eine oder andere Kirchenraum für die Kunst in Not öffnet wie zum Beispiel die St. Matthäus-Kirche am Berliner Kulturforum. Der Erfinder der Elektrizität. Joseph Beuys und der Christusimpuls heißt eine vom ehemaligen Leiter des Hamburger Bahnhofs und Beuys-Experten Eugen Blume kuratierte Ausstellung über den deutschen Säulenheiligen der Aktions- und Objektkunst. Und das ist zum 100. Geburtstag des als Filz- und Fett-Schamanen verehrten Hutträgers nicht einmal allzu sehr an den Haaren herbeigezogen.
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Der Ausstellungstitel geht auf die Herz-Jesu-Bildchen zurück, die Beuys mit Zuschreibungen wie eben „Der Erfinder der Elektrizität“ oder „Der Erfinder des 3. Thermodynamischen Hauptsatzes“ versah.
Die christliche Ikonografie in Beuys‘ Werk ist viel untersucht. Für ihn galt nach eigener Aussage das Christusbild als der erweiterte Kunstbergriff. Diesbezügliche Zitate zieren die Balustraden der linken und rechten Kirchenempore. „Die Fähigkeit die Welt analytisch zu betrachten, kommt mit Christus in die Welt.“ behauptet Kurator Blume. Gemeint ist die Schöpfungskraft, die in jedem Menschen steckt und sich in der Fähigkeit, kreativ gestalten zu können, äußert, ob nun in der Kunst, der Gesellschaft, der Politik oder im Leben selbst. Damit ist nach Beuys jeder Mensch ein Künstler.
Ein weiterer diesbezügliche Begriff ist die „Ichkraft“, ein Schlagwort aus der Philosophie des Anthroposophen Rudolf Steiner, von dem Beuys‘ Werk nachdrücklich beeinflusst ist. Das rückt Beuys heute nach Ansicht einiger seiner schärfsten Kritiker in die Nähe antidemokratischer und nationalistischer Kreise. Wer sich nicht nur mit seinem künstlerischen Schaffen, sondern auch mit seinen politischen Aktivitäten beschäftigt, wird auf diese schwarzen Flecken in Beuys Biografie vor der Gründung der Grünen stoßen. Ist Beuys einer der ersten Querdenker, in deren Reihen sich ja viel Anhänger esoterischer und völkischer Ansichten befinden? Als Künstler wie auch als politisch denkender Mensch ist Beuys jedenfalls nach wie vor sehr ambivalent und umstritten.
Der Mythos um Fett und Filz also nur „esoterischer Mumpitz“? So behauptet es zumindest der Schweizer Autor, Filmemacher und Konzeptkünstler Hans Peter Riegel, der in einer vierbändigen Biografie nicht nur Beuys Steiner-Verehrung untersucht und neu bewertet hat. In der kleine Ausstellung in der St. Matthäus-Kirche ist davon eher wenig zu spüren, sieht man mal von der Wirkung des sakralen Kirchraums ab. Dort hat Blume in die Nähe des Altars die sogenannte Dumme Kiste aufgestellt. Eine an den Ecken von Filzstreifen unterbrochene Kupferkiste. Ein Symbol für den Kopf, als Raum des Geistes, umhüllt vom Strom leitenden Material Kupfer.
Ein ähnlicher Leiter ist in dem Objekt Capri Batterie dargestellt. Eine Glühlampe, die in einer Zitrone steckt. Das zeigt auch den Humor von Beuys. Im Altarraum selbst läuft auf einem Monitor ein Film zu Beuys‘ Bleiplatten-Installation Hinter dem Knochen wird gezählt/SCHMERZRAUM, ein Symbol für die menschliche Isolation, was wiederum mit dem in einer Vitrine davor befindlichen Objekt Zeige deine Wunde korrespondiert. Religiöse Symbolkraft besitzt auch die Aktion Celtic+~~~, die in der Sakristei zu sehen ist. An deren Beginn steht eine Fußwaschung. Der sogenannte „Christusimpuls“ als Anregung der spirituellen Erneuerung unter sozialen Gesichtspunkten. Ähnliche spirituelle Strahlkraft besitzt die Aktion Eurasienstab, Symbol für die Vereinigung von westlichen und östlichen Kulturen.
Viele Ausstellungsplakate und Fotos zieren die Wände des Kirchenraums. Verwiesen sei hier vor allem auf eine kleine Fotoserie, die ein Gespräch von Beuys mit Eugen Blume in Wort und Bild verewigt. Ein Gespräch nicht nur über Bäume, ökologische Ökonomie, Christus und die Freiheit des Menschen. Auf der Empore befinden sich noch zwei weitere Serien des Fotografen Lothar Wolleh, der Beuys auf vielen Ausstellungsreisen begleitete und die Aktionen des Künstlers dokumentierte. Wie etwa die Performance Filz-TV, eine Art autoaggressive Selbst- und Medienkritik mit Mattscheibe, obligatorischem Filz, Boxhandschuhen und Blutwurst.
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Der Erfinder der Elektrizität. Joseph Beuys und der Christusimpuls in der St. Matthäus-Kirche, Berlin | Foto (C) Leo Seidel
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Als Einstieg in den Kosmos Beuys ist diese kleine Schau in kargen Pandemiezeiten willkommene Kunstnahrung und macht Appetit auf weitere Ausstellungen im Beuys-Jahr wie u.a. ab Juni im Hamburger Bahnhof Berlin, wo die Sprache im Mittelpunkt stehen wird. Und nicht vergessen sollte man eine Ersteigung des Kirchturms, von dem sich einerseits ein Blick auf das Baufeld des gerade erstehenden und wegen seiner Scheunenarchitektur umstrittenen Museums der Moderne und anderseits auf die frisch sanierte Neue Nationalgalerie bietet.
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Stefan Bock - 13. Mai 2021 ID 12907
Weitere Infos siehe auch: https://www.stiftung-stmatthaeus.de/
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