John Heartfield -
Fotografie plus Dynamit
Die Berliner Akademie der Künste zeigt eine Retrospektive des Erfinders der politischen Fotomontage
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Ein Jahr vor dem 130. Geburtstag von John Heartfield (1891-1968) zeigt die Berliner Akademie der Künste, die das Archiv des deutschen Malers, Grafikers und Fotomontagekünstlers betreut und nun auch online gestellt hat, eine umfangreiche Retrospektive seines Werks. Bereits der Titel der Ausstellung John Heartfield - Fotografie plus Dynamit verweist auf das stets politisch orientierte Schaffen des als Helmut Herzfeld in Schmargendorf geborenen Künstlers. Aber auch entlang seines recht ereignisreichen Lebens bewegt sich die Schau, die im März eröffnet während des Corona-Lockdowns nur im Internet zu besichtigen war. Seit Anfang Juni ist der Besuch im Haus am Pariser Platz auch wieder leibhaftig möglich. Es gelten wie überall die bekannten Hygienevorschriften und Zeitfensterbeschränkungen.
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Die Ausstellung empfängt ihre BesucherInnen im ersten Raum mit einer multimedialen Installation aus Videowänden mit Foto- und Filmprojektionen aus historischen Zeitzeugnissen und persönlichen Aufnahmen in Bild und Ton. In Vitrinen gibt es Dokumente wie Heartfields Flüchtlings-Ausweis oder sein Adressbuch, mit der Anschrift von Ulrike Meinhof und ihres Mannes und Konkret-Herausgebers Klaus Rainer Röhl. Ein für den 17.04.1961 geplantes Treffen scheiterte, wie kürzlich in der Presse zu erfahren, an einer Autopanne auf der Transitstrecke nach Ost-Berlin, wo Heartfield nach seiner Rückkehr aus dem Exil in England lebte. Das Absage-Telegramm ist hier ebenfalls zu besichtigen.
Heartfields berühmte Vergangenheit als Erfinder der politischen Fotomontage, seine aktive Unterstützung der KPD mit Titelbildern für die AIZ in der Weimarer Republik und seine zahlreichen scharfen Fotomontagen von Nazigrößen wie Hitler, Goering oder Göbbels, mit denen er vor dem aufkommenden Nationalsozialismus warnte, werden wohl der Anlass der beiden ebenso bekannten linken West-Journalisten für das leider geplatzte Treffen gewesen sein. Eine Titelseite für Konkret gegen das BRD-Kapital hätte Heartfield noch in seiner Sammlung gefehlt. In der jungen DDR als West-Exilant beargwöhnt und behindert wäre dies sicher auch eine Art später Genugtuung gewesen.
Das alles lässt fast vergessen, dass Heartfields Kunst durchaus wesentlich vielfältiger Natur war. Die Ausstellung führt in 5 Kapiteln durch den „Kosmos Heartfield“. Beginnend mit der Gründung des Malik-Verlages gemeinsam mit Bruder Wieland Herzfelde 1917 in Berlin. Viele Publikationen des Verlages u.a. Bücher von Upton Sinclaire, Ilja Ehrenburg, Maxim Gorki und Franz Jung wurden von John Heartfield in Fotomontagetechnik gestaltet. „Wenn ich nicht Peter Panter wäre, möchte ich ein Buchumschlag im Malik-Verlag sein.“ schrieb anerkennend Kurt Tucholsky, dessen 1929 erschienenes satirisches Bilderbuch Deutschland, Deutschland über alles ebenfalls von Heartfield montiert wurde. Mit dem befreundeten Künstler George Grozs gehörte Heartfield der Dada-Bewegung an. Beispiele gemeinsamer Projekte sind im zweiten Raum ausgestellt, ebenso wie Bühnenbilder und Kostümentwürfe für das von Erwin Piscator gegründete Theater am Nollendorfplatz. Auch für die Reinhardt-Bühnen arbeitet Heartfield als Ausstatter. Die bekanntesten von Heartfield ausgestatteten Stück-Inszenierungen dieser Zeit dürften Tollers Hoppla, wir leben! und Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk von Max Brod und Hans Reimann sein.
Auch Bertolt Brecht wurde auf den aufstrebenden Montage-Künstler aufmerksam und begann selbst als „Meister der Klebologie“ seine Arbeitsbücher in Collagetechnik zu gestalten. Brecht war es später auch, der Heartfield nach dessen Rückkehr aus dem Exil nach Berlin holte und sich für eine Mitgliedschaft in der Akademie der Künste stark machte. Heartfield richtete die legendäre Inszenierung von Brechts Die Mutter 1951 am Berliner Ensemble ein. Plakate und Filmausschnitte sind im letzten Raum der Ausstellung zu sehen. Auch für das Deutsche Theater entwirft Heartfield Plakate und Bühnenbilder. Ein Kreis schließt sich. Zum „Designer des Sozialismus?“, wie die Ausstellung am Ende fragt, hat es nicht gereicht, aber für späte Anerkennung und ein kleines Ferienhaus im märkischen Waldsieversdorf ganz in der Nähe von Brechts Sommerdomizil in Buckow. Das John-Heartfield-Haus ist heute Museum und seit Mai wieder an den Wochenenden zu besichtigen.
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Bildquelle: adk.de
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Der Schwerpunkt der Retrospektive liegt klar in der Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs mit Heartfields politischen Fotomontagen für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung von Herausgeber Willi Münzenberger, die auch von 1933 bis 1938 weiter wöchentlich im Prager Exil erschien. Die darin erschienen Fotomontagen wie Krieg und Leichen - Die letzte Hoffnung der Reichen, Adolf der Übermensch, Göring der Henker des Dritten Reichs, Der Richter - Der Gerichtete (über den Reichstagsbrandprozess), Wie im Mittelalter ... so im Dritten Reich sind weltbekannt. Im Londoner Exil arbeitete Heartfield dann für britische Publikationen. Nicht unerwähnt bleibt Heartfields Wirken als erster Leiter der Trickfilmabteilung der UfA. Kostproben dieser filmischen Arbeit sind hier ebenso zu sehen wie zahlreiche Entwürfe und Originalmaterial, das der Künstler für seine Fotomontagen nutzte. Eine mitunter auch klar propagandistische Zielsetzung, die heute in der Kunst kaum noch zum Einsatz kommt und in einer Zeit von Manipulation und Fakenews ganz anders konnotiert ist. Politische Fotomontage erschöpft sich zumeist in der Karikatur in Satireblättern. Was politische Kunst in finsteren Zeit vermochte, ist in der Heartfield-Retrospektive gut nachvollziehbar aufbereitet.
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Stefan Bock - 18. Juni 2020 ID 12306
Weitere Infos siehe auch: https://www.adk.de
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