In einer
Zeit des
Wandels
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Ausstellungsplakat der Hamburger Kunsthalle
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Bewertung:
„Habe soeben beschlossen, mein Leben mit aller Kraft zuende zu leben.“
Die höchste Form des Lebens war für Max Beckmann (1884-1950) die Freiheit. Er lebte mit dieser Hoffnung, die eine zeitlose ist. Insofern berühren seine Bilder, denn er schafft eine ganz eigene Präsenz: „Ich suche nach der Brücke, die vom Sichtbaren ins Unsichtbare führt.“ Seine Kunst geht zwar immer vom Gegenständlichen aus, aber da ist der Anspruch, die Welt dahinter sichtbar zu machen; das Mysterium des Seins zu begreifen.
Um die Menschen zu studieren, ihre Rollen zu zeigen, besuchte er immer wieder Nachtclubs, auch den Zirkus, das Theater des Lebens schlechthin. Auch der Zoo war ihm Inspiration. Er hatte aber nichts gegen das Alleinsein, im Gegenteil, es gab ihm den nötigen Abstand und Selbstverantwortung, war er doch auf der Suche nach sich selbst, nannte das die Insel seiner Seele und stellte Fragen wie: Was ist die Unendlichkeit, was kommt nach dem Tod, was ist das Nichts?
Schon damals war ihm die Einsamkeit in der Menge ein Begriff, so gibt diese Ausstellung viele aktuelle und menschliche Denkanstöße, nicht nur mit dem Titel weiblich - männlich, der zunächst aufgesetzt erscheint, ein „catchy“-Aufhänger, vielleicht zu plakativ. Aber es ist wahr, er war ein stiller Beobachter, suchte immer nach der Brücke, Gegensätze zu verbinden, sah das Androgyne und dass beide Energien in jedem von uns vorhanden sind. Es war eine Zeit, in der ein Wandel in den Geschlechterrollen begann, zumindest in der intellektuellen Szene wurde über Emanzipation diskutiert. Trotzdem hatten beide Frauen Beckmanns ihre eigenen Karrieren als Musikerinnen aufgegeben, auch den Wunsch nach Mutterschaft, um an seiner Seite zu leben.
In der HAMBURGER KUNSTHALLE hängen nun viele Porträts, die das ausdrücken. Details geben Aufschluss, wie der jeweils abgebildete Mensch fühlt, was sind seine möglichen Attribute, eine Blume vielleicht, dazu die passende Handhaltung, oder Details wie ein ovaler Spiegel mit Goldrahmen geben einen Heiligenschein.
Er wollte so schön wie möglich malen. Doch Hitlers "schön" sah anders aus; Beckmann kam 1937 in die Münchner Ausstellung für Entartete Kunst. Da für den Künstler selbst Kampf und Widerstand nicht infrage kam, musste er in die Emigration. Er ging zunächst nach Amsterdam, stellte aber auch ein Visum für die USA, welches ihm erst 1947 bewilligt wurde. In den USA hatte er großen Erfolg, trotzdem blieb sein Heimweh nach Amsterdam und Europa. Er erlag 1950 in Manhatten/NY mitten auf der Straße einem Herzinfarkt.
Dies ist nun eine forschende, kunsthistorische Ausstellung, auch ist sie nicht die erste Max-Beckmann-Präsentation; 1993 gab es Selbstbildnisse, 1998 Landschaften und 2014 seine Stilleben. Die Klassische Moderne ist natürlich gut abgehangen, doch sinnhaft und aktuell ist sie eben auch.
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Aufgeteilt nach Themen betreten wir die Räume: Philosophische Gedanken, hinterfragen zunächst Das Selbst (las er Carl Gustav Jung und Otto Weininger). Mit der Erkenntnis von Ich bin Du folgen Doppelselbst, also Doppelselbstporträts von Weiblich und Männlich, dem Thema der Gegenpole, dann die Familie, wobei er die Frau allerdings nicht explizit als Mutter sehen wollte. Dann In Gesellschaft - das war für ihn oft ein Gegenüber zurückhaltender Eleganz der Damen. Im Gegensatz dazu aber auch ein aufkeimendes weibliches Selbstbewusstseins. Ihn interessierte das Thema Geschlechter, auch das Feinsinnige und Zarte beim Mann. Wie gesagt, er versuchte, sich selbst zu verstehen. Interessant ist das Porträt der Rumänin, die ihre Hände in den Hüften hält, nach dem Motto: Packen wir‘s an.
Mit dem nächsten Slogan Von Macht und Ohnmacht kommt die Einsicht, dass Fremdbestimmung auch ein Gesellschaftsproblem ist, d.h. dass es Geschlechter gleichermaßen betrifft, wie Bedrohung, Gewalt, Manipulation und Täuschung.
Der Mensch ist traumatisiert und hilflos auf beiden Seiten, so benutzt er geschlechtspezifische Gesten wie das Halten einer Blume für Frau und Mann gleichermaßen, geht es doch um die Freiheit in der Begegnung zwischen Mann und Frau.
Es folgt Passagen, welche nun das Dasein, ja das Schicksal von Frauen thematisierte. Zufall und Bestimmung. Eingangszonen von Hotels, z.B. eine Drehtür, dem Schicksalsrad gleich, wurden von ihm aufgegriffen, standen für den Durchgang in ein anderes Leben schlechthin. Eben auch für den Moment von Begegnung.
Lust und Leid thematisieren Verstrickungen, das Täter-Opfer Thema, auch die Ratlosigkeit, die damit einher geht, den ständigen Widerspruch.
Wir landen beim Thema der Auflösung, hier mit Im Ursprung betitelt. Es hat etwas von Melancholie, spricht unsere tiefsten Gefühle an, ist eine ergreifende Kunst jenseits von Geschmack und Zeit auf der Suche nach Sinn. Blasses Violett der Wände verstärkt das Anliegen weiblich und männlich zu verbinden, fast magisch werden wir hier in die Themen eingesogen.
Was soll da noch unsere geistige Urteilskraft?
Und doch, mit dem letzten Raum Blickwechsel - Wortwechsel wird die aufwändige Ausstellung der 140 Werke beendet. Dort sollen Dialoge stattfinden oder auch Diskussionen. Wir erleben eine Zeit des Wandels, vielleicht ist es hilfreich sich hier auszutauschen.
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Max Beckmann: weiblich-männlich in der Hamburger Kunsthalle - ein Bildbetrachtender von hinten | Foto: Liane Kampeter
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Liane Kampeter - 29. September 2020 ID 12498
Max Beckmanns Hauptinteresse galt dem Menschen. Die Ausstellung weiblich-männlich untersucht die zahlreichen, oft widersprüchlichen Rollen von Weiblichkeit und Männlichkeit in seiner Kunst. Wie definierte der Künstler weiblich und männlich? Verändern sich Geschlechterzuschreibungen im Lauf der Zeit, und wie verstehen wir sie heute?
Während der Ausstellungslaufzeit werden Expert*innen aus verschiedenen Fach- bereichen ihren Arbeitsplatz in die Ausstellung verlegen und ihren Blick auf Beckmanns Kunst und auf Geschlechterfragen einbringen. Neben der Kuratorin der Ausstellung und dem Direktor der Hamburger Kunsthalle werden die Gesprächs- partner*innen aus den Bereichen der Literatur-, Sozial- und Erziehungswissen- schaft, Philosophie und Theologie für einen Dialog mit den Besucher*innen an- wesend sein. Die Blickwechsel finden jeweils sonntags von 14.30 Uhr bis 17.30 Uhr statt.
Kuratorin: Dr. Karin Schick
Wissenschaftliche Mitarbeit: Sophia Colditz M.A., Ann-Kathrin Hubrich M.A.
Weitere Infos siehe auch: https://www.hamburger-kunsthalle.de/
Post an Liane Kampeter
https://www.liane-kampeter.de
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