Im Exil
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Detail aus: Else Lasker-Schüler, Theben mit Jussuf, 1923 | Bildquelle: museumdermoderne.at
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Bewertung:
Dass die Österreicher besonderes Interesse oder gar Empathie zeigten für die Menschen, die ihre Väter und Großväter ins Exil gejagt haben oder deren Vertreibung sie zumindest billigend geschehen ließen, kann man nicht behaupten. Unter den Aktivisten des Kulturbetriebs aber gibt es immer wieder einige, die, flankiert von einschlägigen Wissenschaftlern, an das durch die Nationalsozialisten erzwungene Exil erinnern, das bei aller Tragik die „erfreuliche“ Alternative zur Ermordung war. Das MUSEUM DER MODERNE SALZBURG, dessen neuerer Teil – neben dem Rupertinum in der Nachbarschaft des Festspielhauses – hoch oben auf dem Mönchsberg, wo einst das legendäre Café Winkler thronte, mit Blick auf die Stadt, sicher zu den am schönsten gelegenen Museumsbauten überhaupt gehört, widmet drei aufeinander folgende Ausstellungen Künstlern im Exil. Diese Planung ermöglicht bei der begrenzten Fläche – vier Räume in einem Stockwerk des Museums – eine Erweiterung des Horizonts, die eine einzige Ausstellung verhindert hätte. Nach Auf/Bruch und Resonanz von Exil beschränkt sich der dritte und letzte Teil unter dem Titel Orte des Exils auf sechs Künstler, von denen der neben Else Lasker-Schüler wohl Prominenteste in einer eher vernachlässigten Funktion bekannt ist: als Illustrator von Erich Kästners Kinderbuchklassiker Emil und die Detektive. Die Bilder von Walter Trier dürften den Lesern mehrerer Generationen im Gedächtnis haften.
Die sechs Künstler fanden Zuflucht, worauf der Titel der Ausstellung anspielt, an ganz verschiedenen Orten weltweit. Neben der Dichterin und Zeichnerin Lasker-Schüler, die zunächst in die Schweiz und dann, weil die Schweizer ihr nach einer Reise nach Palästina, das Rückreisevisum verweigerten, dorthin emigrierte, und Trier, der sich in London niederließ, sind das die Filmemacherin Louise Kolm-Fleck, die es nach Shanghai verschlug, Lotte Laserstein, die nach einer Ausstellung in Schweden blieb, der Designer Victor Papanek, der in die USA ging, und der Fotograf Wolfgang Suschitzky, der wie Walter Trier in London überlebte.
Zu den eindrucksvollen Entdeckungen der Ausstellung gehören Lotte Lasersteins ausdrucksstarke, fast szenischen Porträts sowie Else Lasker-Schülers expressive Grafiken, die sich durchaus an ihrer Dichtung messen lassen. Walter Trier liefert den Beweis, dass auch in der Situation des Exils Witz und Humor nicht notwendig ausbleiben müssen. Menschen reagieren, je nach Anlage und Charakter, unterschiedlich auf Situationen. Dass das Exil manchen erträglich, ja sogar wohltuend erscheinen mag, ist freilich kein Freibrief für jene, die das Exil erzwungen haben.
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Orte des Exils, Ausstellungsansicht, Museum der Moderne Salzburg, 2020 | (C) Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar
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Zu den drei Exil-Ausstellungen ist ein informativer und durch Aufsätze erweiterter Katalog in Buchform erschienen: Szenen des Exils, als Koproduktion des Museums der Moderne und des Verlags Bibliothek der Provinz.
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Zugleich mit Orte des Exils ist im Museum der Moderne eine Ausstellung ganz anderer Art zu sehen, von einer Künstlerin, deren Eltern, wie es der Zufall will, ebenfalls vor den Nazis ins Exil flüchten mussten. Die Fotografin und Filmemacherin Friedl Kubelka vom Gröller, die lange mit dem bedeutenden und einflussreichen Praktiker und Theoretiker des Experimentalfilms Peter Kubelka verheiratet war, hat sich einen Namen gemacht mit Serien kleinformatiger (Selbst)Porträts. Sie hat sich oder Menschen aus ihrer engeren Umgebung Tag für Tag fotografiert und so etwas kreiert, was man als Übertragung des musikalischen Minimalismus auf die Kunstform der Fotografie betrachten könnte: Sie ist gekennzeichnet durch Repetition und geringfügige, kaum erkennbare Variation. Anders aber als bei der Minimal Music erstreckt sich das „Einzelwerk“ auf einen Zeitraum von bis zu mehreren Jahren. Die Raumkunst Fotografie wird so der Zeitkunst Film angenähert. Anders aber als etwa beim Comicstrip gibt es keine kontinuierliche „Handlung“. Die Veränderung findet im immer gleichen Motiv statt. Über die therapeutische Qualität der Fotoserien, die die gelernte Psychoanalytikerin beansprucht, kann man sich streiten. Ist es zielführend, von einer „Begegnung“ zu sprechen, wo die eine Seite, das Foto, betrachtet werden, nicht aber reagieren kann? Es ist in seiner Statik weniger als ein Spiegel, dessen Bedeutung möglicherweise seit Lacan und Irigaray überschätzt wird.
P.S.: Ich besitze ein „Originalfoto“ von Friedl Kubelka vom Gröller, die zur Zeit der Aufnahme noch Friedl Bondy hieß und 17 Jahre alt war. Es zeigt unseren damaligen Freundeskreis, Roland, Tilo und…, der in jugendlichem Leichtsinn einen amerikanischen Schlitten gemietet hatte, als wären wir einem Film von Jean-Luc Godard entstiegen, um an die Donau zu fahren, wo wir, kurzbehost und mit grotesken Verrenkungen, die Zecken von unseren nackten Beinen zu entfernen versuchten.
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Thomas Rothschild – 9. August 2020 ID 12387
Weitere Infos siehe auch: https://www.museumdermoderne.at
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