Hühnerdieb trifft Antigone
PARADISE EDICT im Münchner Haus der Kunst
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Bewertung:
Das Paradies - ein locus amoenus? Ja. Auf den ersten Blick. Es grünt so grün, wenn Kenias Bäume blühen. Bei näherem Hinsehen allerdings ist diese scheinbar unberührte, wundersame Naturlandschaft unter einem freundlich blauen Himmel voller Schrecken und Gewalt. Hände halten Beine fest. Ein Krokodil reißt das Maul weit auf. Ein Gesicht droht dunkel. Über allem schwebt eine durchsichtige Frauengestalt, die aussieht, als habe sie sich aus einem Bild Gauguins davongemacht. Paradise Edict ist das faszinierende Titelbild von Michael Armitages großartiger Schau im HAUS DER KUNST in München.
Große Formate hängen schon in Aufgang. Ein überdimensionaler Affe in Macho-Pose mit einer Bananenstaude vor dem Geschlecht. Ein anderer mit Bikini-Oberteil. Ein dritter reitet einen Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt. Afrika, so wie wir es uns vorstellen? Michael Armitage konterkariert damit etliche vom kolonialen Blick geprägte Klischees über seine Heimat.
Der Künstler wurde 1984 in Kenia geboren und hat in London Malerei studiert. Zwei Welten, Afrika und Europa, haben ihn geprägt. Und so verbindet er afrikanische Mythen und europäische Kunstgeschichte zu einem überraschenden Mix. Unbekümmert zitiert Armitage bekannte Vor-Bilder. Manets berühmte Darstellung eines Sonntagspicknicks, das Frühstück im Grünen, wird bei ihm zur feiertäglichen Teufelsaustreibung auf dem Dorfplatz, ein fast fröhliches Ritual, an dem viele Dorfbewohner teilnehmen. Andererseits schildert er in Anlehnung an Michelangelos Laokoon-Gruppe eine Folterszene in einem afrikanischen Gefängnis. Dort wurden die Häftlinge Schlangen ausgesetzt, von denen sie nicht wussten, ob sie giftig waren oder nicht. Und schließlich gibt es sogar eine afrikanische Antigone. Hinter einem edlen Vorhang legt sie das Feigenblatt zur Seite und zeigt, was sie hat. Dabei will sie nur eines, nämlich heiraten.
Armitage malt mit leichtem, schnellen Pinselstrich geradezu klassische Figuren, die zwar leicht erkennbar sind, aber eine Menge Rätsel aufgeben. Zum Beispiel der dunkelhäutige Hühnerdieb. Vor wem läuft er denn da weg? Ein affenähnliches Dämonentier, bewaffnet mit Pistolen und Feuerbeinen, hat sich im wahrsten Wortsinne an seine Fersen geheftet. Bewegung, Dynamik, bedrohliche Farbenpracht. The Chicken Thief entstand nach Unruhen, die 2017 in Armitages Heimatstadt Nairobi die umstrittene Präsidentenwahl begleiteten. Mehrfach wurde vom Mord an Menschen berichtet, die politische Demonstrationen für Diebstähle zu nutzen versuchten.
Ungewöhnlich ist auch Armitages Malgrund. Er arbeitet nicht auf Leinwand, sondern auf Lubugo, einer Art Tuch, das in einem aufwändigen Prozess aus der Rinde der Natalfeige gewonnen wird. Dieses kostbare Material wurde traditionell bei wichtigen afrikanischen Zeremonien genutzt, bei Krönungen, Heilungen. Man hat es auch als Leichentuch verwendet. In Armitages Bildern sieht man noch die ursprünglichen Nähte und Löcher. Sie werden in die Komposition einbezogen und sollen die Werke zusätzlich in seiner Heimat verorten. „Ich wollte, dass meine Malerei auch die kulturelle Verwurzelung in Ostafrika dokumentiert“, meint der Künstler, der in Afrika seine Skizzen macht, um sie später in London zu großformatigen Ölbildern zu verarbeiten.
Eine weitere Sektion der Ausstellung zeigt neben Zeichnungen und Studien Armitages zu seinen Bildern die Werke anderer Maler aus Ostafrika, zumeist autodidaktischen Künstlern. Von ihnen hat Armitage nach eigenen Angaben gelernt. Er selbst ist inzwischen eine Art Shootingstar. Museen wie das New Yorker MoMA zeigen seine Werke, und auch auf der Venedig-Biennale war er im vergangenen Jahr vertreten.
Michael Armitage ist zweifellos ein grandioser Maler. Um seine Werke nicht nur zu genießen, sondern deren Hintergründe besser zu verstehen, empfiehlt es sich, an einer Führung teilzunehmen.
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The Paradise Edict (2019) von Michael Armitage - im Münchner Haus der Kunst | Foto: Petra Herrmann
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Petra Herrmann - 31. Oktober 2020 ID 12567
Weitere Infos siehe auch: https://hausderkunst.de/
Post an Petra Herrmann
petra-herrmann-kunst.de
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