Mit Kuhdung, Teerfässern und
Menschenhaar oder
das Spirituelle im Profanen
Der Kunstbau im Münchner Lenbachhaus präsentiert die indische Konzeptkünstlerin Sheela Gowda
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Bewertung:
Betritt man momentan zur Ausstellung Sheela Gowda. It.. Matters den Kunstbau des Münchner Lenbachhaus, dann wird man geradezu mit der Nase auf die Installation Where Cows Walk gestoßen. Die 1957 in Bhadravati geborene indische Konzeptkünstlerin Sheela Gowda hat sie eigens für ihre erste museale Einzelschau in Deutschland geschaffen. Viel mehr ist die Installation aber in einer Art Co(w)-Work entstanden. Gowda hat einen Kuhstall mit Juteleinwänden ausgelegt und die heiligen indischen Tiere ihren Dung mit den Hufen darauf verteilen lassen. Das Ergebnis hängt nun in Augenhöhe des nur mit Mund- und Nasenbedeckung geschützten Betrachters. Keine Angst, hier soll nicht die sprichwörtlich heilige Kuh geschlachtet, sondern lediglich auf den in Indien verstärkt um sich greifenden Hindu-Nationalismus hingewiesen werden. Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Arbeiten der in der südindischen Metropole Bangalore lebenden Künstlerin zieht.
Rote Fäden zu einem Seil versponnen spannte Sheela Gowda bereits 2007 für ihre Installation And…, Ausdruck traditionellen Frauenhandwerks. Auch Kuhdung benutzte die Künstlerin schon in frühen Jahren. Die 1992 so entstanden Mixed-Media-Arbeiten auf Jute sind Ergebnis ihrer Abkehr von der herkömmlichen westlichen Öl-Malerei und Beginn der Hinwendung zu traditionellen Stoffen und Materialien ihrer indischen Heimat. Immer wieder greift sie dabei zurück auf Alltagsgegenstände, die mythisch und religiös behaftet sind, wie etwa die auf den Straßen indischer Städte herumliegenden Mörsersteine, die ihren Nutzen durch moderne elektrische Gewürzmühlen verloren haben, oder die aus gewalzten Teerfässern gestanzten und gedengelten Bandlis, Schalen zum Transport von Sand, Mörtel und Steinen auf Baustellen. Zu raumgreifenden Installationen wie Stopover (Zwischenhalt) oder What yet remains (Was noch bleibt) [s. Foto unten] zusammengefügt sind sie nun als Sinnbilder des globalisierten Fortschritts und Verschwindens alter traditioneller Arbeitsweisen im Kunstbau verteilt.
Darkroom heißt eine begehbare Installation (Corona-bedingt leider nicht möglich) aus Teerfässern vom Straßenbau, wie sie dort für temporäre Arbeiterunterkünfte genutzt werden. Der niedrige Bau wurde von Sheela Gowda mit Säulen aus Teerfässern flankiert. Eine fast tempelartige Überhöhung mit einem perforierten Dach, das einen Sternenhimmel suggeriert und somit die Lebens- und Arbeitsbedingungen indischer Wanderarbeiter konterkariert. Gesellschaftskritisch sind auch ihre Fotoarbeiten (Protest, my Son) und Collagen (Best Cutting) aus Zeitungsartikeln, die sich auf politisch und religiös relevante Themen beziehen. Besonders eindrucksvoll ist die wie ein überdimensionales Bondage-Studio wirkende Installation Behold, bestehend aus 4.000 Metern handgedrehtem Seil aus Menschenhaar und zwanzig Autostoßstangen. Ihr Haar dient gläubigen Hindus als Opfergabe bei Wünschen an die Götter. Ein Kontrast zwischen Spiritualität und der Schönheitsindustrie sowie der von Menschen gemachten Fortbewegungsmaschine, die Schutz und Gefahr gleichzeitig bedeutet.
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Die Ausstellung findet anlässlich der Verleihung des Maria-Lassnig-Preises 2019 an Sheela Gowda statt. Die Maria-Lassnig-Stiftung, die sich um das künstlerische Erbe der 2014 verstorbenen österreichischen Malerin kümmert, würdigt hier eine Künstlerin, die „in ihrer frühen Ölmalerei und gerade auch in ihrer Beschäftigung mit erschwerten Arbeitsbedingungen für Frauen in der indischen Gesellschaft Themenbereiche von Maria Lassnig berührt“. Das eigentlich Besondere an Sheela Gowdas Konzeptkunst ist aber, dass die Installationen auch ohne den konkreten Bezug ihre ästhetische und narrative Wirkung verbreiten und somit Raum für eigene Assoziationen zulassen. Wem das nicht genügt, der findet Erklärendes in einer zur Ausstellung gereichten Broschüre oder kann sich vor Ort den 30-minütigen Porträtfilm Shedding Light von Friedrich Rackwitz und Stephan Vorbrugg ansehen.
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Sheela Gowda: What Yet Remains, 2017; Ausstellungsansicht | Installation view Lenbachhaus, 2020, Foto Lenbachhaus, Simone Gänsheimer © Sheela Gowda
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Stefan Bock - 31. Juli 2020 ID 12378
Weitere Infos siehe auch: https://www.lenbachhaus.de/
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