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Zeitloser

Realismus



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Die Genter Kaufmannsleute Joos Vijd und seine Frau Elisabeth Borluut sind links und rechts auf den unteren Außentafeln abgebildet. Sie knien und haben die Hände zum Gebet gefaltet. Ihr Blick ist weder auf uns noch auf Johannes den Täufer und Johannes den Evangelisten, die beiden grauen Mittelfiguren, gerichtet. Van Eyck hat das Stifterpaar im damals bevorzugten Dreiviertelprofil gemalt. Der Mann trägt einen roten Mantel, sein kahler Kopf ist nicht bedeckt. Die Frau ist mit einem altrosa-farbigen Mantel bekleidet, Ärmelumschlag und Kragen sind samtig grün. Auf dem Kopf trägt sie ein für die Zeit typisches helles Tuch, das nicht verknotet ist, ihre Haare sind nicht zu sehen. Van Eyck hat dem Ehepaar nicht geschmeichelt. Falten, Augenringe, nicht vorhandene Wimpern und Hautunreinheiten hält er für die Ewigkeit fest. Eine Idealisierung hat in seiner von Realismus dominierten Malerei keinen Platz. Als Auftraggeber war es im Mittelalter und der Renaissance durchaus üblich, im Bild verewigt zu werden. So geriet man auch nach dem Tod nicht in Vergessenheit. Die anderen Außentafeln sind fast ausschließlich in Grisaille gehalten, bis auf den blauen Himmel über einer Stadtansicht, die im Mittelteil zu sehen ist und ein paar grün-braun Töne im oberen Bereich. Umso farbenprächtiger und leuchtender ist das Innenleben des Genter Altars. Adam und Eva, die als einzige in keuscher Nacktheit da stehen, rahmen Szenen aus der Bibel mit dem blutenden Lamm in der Mitte ein. Der komplette Titel des Genter Altars lautet Die Anbetung des Lamm Gottes. Beide Van Eyck-Brüder, Hubert (1370-1426) und Jan (1390-1441), haben sich lange Zeit damit beschäftigt. Wobei Hubert mit dem Auftragswerk begann und Jan es nach dessen Tod in jahrelanger Arbeit fertig stellte. Eine Inschrift im Rahmen zeigt vom Selbstbewusstsein der Van Eycks (sie lautet ungefähr so: „Der Maler Hubert Eyck, der größte, der sich je fand, hat dieses Werk begonnen, und sein Bruder Johannes, in der Kunst der Zweite, hat die schwere Aufgabe vollendet, der Bitte des Joos Vijd folgend…“).

Der Altar blieb so gut wie immer geschlossen. Die Flügel wurden seinerzeit nur an hohen kirchlichen Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten geöffnet, um die volle Pracht auf die Gläubigen wirken zu lassen. Offen nimmt das Werk eine Fläche von 375 x 520 cm ein. In der Ausstellung Van Eyck. Eine optische Revolution im Museum der Schönen Künste Gent (MSK) sind nur die bereits restaurierten Außenflügel und die noch zu restaurierten Tafeln mit Adam und Eva in unterschiedlichen thematischen Räumen zu sehen. Die aufwendigen Restaurierungsarbeiten haben bereits im Jahre 2012 begonnen. Dafür wurden die Tafeln nacheinander von der Kirche St. Bavo ins Museum gebracht, wo mühsam und kostspielig unzählige Farb- und Leimschichten abgetragen wurden, denn Kerzenlicht und Temperaturschwankungen setzten den Bildern schon seit dem 16. Jahrhundert zu. Der protestantische Bildersturm mit seinen Übermalungen im 16. Jahrhundert und immer wieder Diebstähle einzelner Tafeln bis ins 20. Jahrhundert (die Bilder tauchten aber – bis auf eines – immer wieder auf) taten das ihre. Wer also das Innenleben des Altars sehen will, muss in die St. Bavo Kirche ins Zentrum von Gent pilgern, dort ist der Hauptteil gut geschützt hinter einer Glaswand zu betrachten. Dieses Polytychon wird als der künstlerische Höhepunkt der beiden Van Eyck-Brüder betrachtet.



Jan (Maaseik?, um 1390 - Brügge, 1441) und Hubert van Eyck (Maaseik, um 1366/1370 - Gent, 1426): Genter Altar, 1432; Außenflügel, Öl auf Holz, St. Bavo Kathedrale Gent
(C) lukasweb.be - Art in Flanders vzw


Begleitet und ergänzt werden diese einzigartigen Eichentafeln von ungefähr 100 Exponaten, darunter 13 Originale von Jan Van Eyck, ausgesuchte Bilder und Portraits von Zeitgenossen, Arbeiten aus seiner Werkstatt, Skulpturen, Zeichnungen, Wandteppiche und kunstvoll illustrierte Bücher. Weltweit sind nur 23 Bilder von Van Eyck erhalten.

Das Diptychon der Verkündung auf Holz entstand um 1433 und kommt aus dem Thyssen Bornemisza Museum Madrid. Eine brillante Konfrontation und Auseinandersetzung des Künstlers mit Optik, Raum und Relief. Ein Trompe-l’oeil, denn auf den ersten Blick wirken die grauen gemalten Figuren wie gemeißelte Marmorskulpturen. Der rechte Flügel des Engels scheint aus dem Bild ausbrechen zu wollen. Hier ist Van Eyck die Illusion von Plastizität auf beeindruckende Weise gelungen.

Ein weiteres Meisterwerk, das aus Rumänien (Sibiu) nach Gent kam, ist das Bildnis eines Mannes mit blauem Chaperon. Es entstand um 1430, misst nur 22 x 17 cm. Wieder im Dreiviertelprofil fliegt der Blick des jungen Mannes mit seinem Drei-Tage-Bart in den Raum. Seine Identität ist nicht bekannt. Während die linke Hand auf dem Rahmen ruht, hält er in seiner rechten Hand einen Ring, den er – so scheint es – gerade überreichen will. Vielleicht ist es ein Verlobungsportrait, und er bietet diesen seiner Auserwählten an. Das pelzbesetzte, schwarz-braune Hemd zeugt von Wohlstand. Der blaue Chaperon bringt im Kontrast zum dunklen Hintergrund sein Gesicht zum Leuchten.

Interessant ist der Stilvergleich zwischen der Stigmatisation des Heiligen Franziskus von Fra Angelico, einem Pionier der italienischen Renaissance, das der Pinacoteca Vaticana gehört, mit Van Eycks Auseinandersetzung mit diesem Thema. Er hat die Szene zweimal gemalt, und beide Bilder sind in der Genter Werkschau zu sehen. Das kleinformatige Bild (28 x 33) des toskanischen Malers entstand 1429. Die auf Pergament gemalte Stigmatisationsszene von Van Eyck ist zehn Jahre später entstanden und misst nur 12,7 x 14,6 cm. Das Philadelphia Museum hat es ausgeliehen. Die Leihgabe aus Turin hingegen ist direkt auf Holz gemalt und etwas größer. Van Eycks optische Revolution vor 600 Jahren und sein unübertroffener Realismus kommen hier ganz besonders zur Geltung. Dem Bild fehlt der perspektivische Fluchtpunkt. Jeder Gegenstand oder Grashalm ist genial beobachtet, das Licht- und Schatten-Spiel auf der Basis von Grau- und Brauntönen beherbergt tausend Details, die man eigentlich mit der Lupe betrachten sollte. Das italienische Bild, wahrscheinlich aus der Werkstatt von Fra Angelico, ist ätherischer, flüchtiger und versprüht künstliches Licht. Der Italiener interessiert sich nicht für eine realistische Darstellung. Über dem Blitzlichtgewitter tut sich ein knall-blauer Himmel auf. Ein roter Engel durchfliegt das göttliche Licht und blendet den hl. Franzskus, während dieser bei Van Eyck fast als Verlängerung des Felsens daherkommt.

Ein Gemälde aus dem Amsterdamer Rijksmuseum von Pierre-Francois de Noter erzählt, wie sich Albrecht Dürer gerade den Genter Altar in der Kirche ansieht und ein Priester ihm diesen erklärt. Aus Wien angereist ein beeindruckendes Portrait von Roger van der Weyden das Van Eycks Gönner Philipp den Guten zeigt. Herzog Philipp war so etwas wie ein Medici des Nordens, er förderte Künste und Wissenschaften und machte die flämische Teppichweberei weltbekannt. Seine Zeit ist von kultureller Blüte geprägt. Er führte einen großen Hof, auf dem zeitweise bis zu 1000 Personen lebten. In dritter Ehe heiratete er Isabel de Portugal, und es war Van Eyck, den er auf Brautschau schickte. Zwei Portraits hat dieser von der Schönen gemalt, die Philipp schließlich den ersehnten Erben schenken sollte. Begleitet wurde Van Eyck auf dieser Reise von Baudouin de Lannoy, ein burgundischer Würdenträger. Luxuriös gekleidet und das Goldene Fließ an einer prächtigen Kette um den Hals, blickt er streng und faltig mit imposantem Hut in Van Eycks- Dreiviertelprofil-Welt. Ein realistisches Meisterwerk auch dieses kleinformatige Portrait, das um 1435 entstand. Es gehört der Berliner Gemäldegalerie.



Jan van Eyck (Maaseik?, um 1390 - Brügge, 1441): Bildnis eines Mannes mit blauem Chaperon, ca. 1428-1430; Öl auf Holz, 22 × 17 cm
(C) Muzeul National Brukenthal, Sibiu (Rumänien)


Die niederländische Frührenaissance Anfang/Mitte des 15. Jahrhunderts und die italienische Renaissance, die sich vor allem in Florenz abspielte, waren tonangebend in der Zeit und das nicht nur in der Malerei. Der Florentiner Architekt Filippo Brunelleschi entwickelte bereits 1410 die Perspektive, an die sich Van Eyck aber nicht hielt und seine intuitive Perspektive eigentlich sein Leben lang beibehielt. Beide Regionen waren Wirtschaftszentren mit einer wohlhabenden Oberschicht, die bereit war, Kunst und Künstler zu fördern. Der Weg in das Goldene Zeitalter war frei. Die Unterschiede zwischen den beiden Stilen bringt die Ausstellung mit nur ein paar Exponaten gut zum Ausdruck. Andere Länder inspirierten sich an dieser Nord-Süd-Kunst-Achse und vor allem italienische Adelige sammelten leidenschaftlich flämische Meister. Angeblich war Antonello da Messina ein Schüler von Van Eyck.

Entgegen früherer Theorien hat Van Eyck die Ölfarbe nicht erfunden. Verbessert allerdings hat er sie, in dem er die traditionellen Temperafarben mit Ölfarben vermischte und somit die seit 1400 benutzten Ölharzfarben geschmeidiger machte. Er hat eine Technik gefunden, die die Farben schneller trocknen ließ und somit das Auftragen von mehreren Schichten hintereinander in kurzer Zeit ermöglichte. Die gebleichten Öle erhöhten die Farbqualität und Nuancen konnten besser herausgearbeitet wurden und verliehen den Gemälden einen speziellen Glanz.

Für den Kunsthistoriker Erwin Panofsky funktionierte Van Eycks fotografische Beobachtungsgabe auf der einen Seite wie ein Mikroskop und auf der anderen Seite wie ein Teleskop. Der italienische Maler und Künstlerbiograf Giorgio Vasari nannte ihn einen Alchimisten, und wir stimmen dem zu, wenn sich das Licht in einem Wassertropfen oder in einer Perle bricht, eine feine, fast unsichtbare Nadel die Kopfbedeckung einer Frau zusammenhält, Felsen von der Zeit berichten, als sie noch unter Wasser waren und wenn der Ellbogen einer Metall-Rüstung eine komplexe Geschichte erzählt, die man nur noch mit der Lupe lesen kann. Die Stoppeln auf Adams Beinen faszinieren genauso wie das Schwarze unter seinen Zehennägeln, die soweit über den Bilderrahmen ragen, als wollten sie schon vorzeitig aus dem Paradies ausbrechen.

Wirklich viel über sein Leben kann auch der hochwertige 500-Seiten-Katalog nicht bringen; und über Hubert, den großen Bruder, gibt es noch weniger zu erzählen. Gut bezahlt war Jan als Hofmaler und Vertrauter des Königs am Hof von Lille und verkehrte in den besten Kreisen. Selbstbewusst signiert er als einer der Ersten seine Bilder. Als Maler, Politiker, Wissenschaftler und Zauberer hat Van Eyck mehr gesehen als der Rest der Malerwelt. Am Hof von Philipp dem Guten entwarf er auch Kleidung und Schmuckstücke für offizielle Zeremonien.

Christa Blenk - 7. Februar 2020
ID 11986
Obwohl wichtige Werke wie das Arnolfini-Portrait aus London oder die Rolin Madonna aus dem Louvre fehlen, ist die Ausstellung Van Eyck. Eine optische Revolution unbedingt eine Reise nach Gent wert. Ein umfangreiches Begleitprogramm, das auch Brügge und andere belgische Städte mit einbezieht, rundet das Van Eyck Jahr 2020 ab. Die Ausstellung im Museum der Schönen Künste Gent (MSK) ist noch bis zum 30. April 2020 zu sehen. Der Eintritt kostet im Vorverkauf 25 Euro, vor Ort 28 Euro.

Weitere Infos siehe auch: https://vaneyck2020.be/de/


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