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Ausstellung

Die Last

der Lust



Bewertung:    



Verdammte Lust! Kirche. Körper. Kunst ist der Titel einer anregenden und durchaus unterhaltsamen Sonderausstellung im neu renovierten Freisinger Diözesanmuseum. Darin geht es um erotische Kunst und zwiespältige Kirchenmoral.

Mit dem aufkommenden Humanismus im 15. Jahrhundert und dem Wiedergeburtsgedanken der Renaissance war das Mittelalter endgültig vorbei. Maxime der Antike brachten auch einen neuen Körperkult mit sich, und der nackte Körper bekam einen anderen Stellenwert. Eingepackt in die Gedanken des klassischen Altertums konnten die Künstler anstößige oder unzüchtige Szenen anhand von biblischen oder mythologischen Geschichten auf die Leinwand bringen. Mehr noch, die Auftraggeber für solch gewagte oder unkeusche Bilder waren oft mächtige Männer der Kurie, die sich dann diese für sie verbotenen Gemälde in ihre Privatgemächer hingen. Die ausführenden Künstler waren zu 95 Prozent ebenfalls Männer. Verführerische Frauen oder erotische Schönlinge waren die Motive.

Der Körper als Sexualobjekt: In acht Kapiteln wird die neuere Kunstgeschichte der Menschheit zwischen Religion und Sexualität mit all ihren Ausschweifungen und Eingrenzungen an Hand von Bildern und Plastiken erzählt. Sündhafte Sehnsüchte und sinnliche Fantasien, Sexualität und Zölibat, Enthaltsamkeit und Lust, (weibliche) Treue, Ideale und doppelte Moralvorstellungen der Kirche werden gegenübergestellt, zerpflückt und analysiert. Hemmungslose hetero- und homosexuelle Exzesse, Versuchung und Verführung, Lüsternheit, Reinheit und Enthaltsamkeit und die Pflichten der Ehe werden neben Fruchtbarkeit, Familie, Züchtigung und Gewalt thematisiert. Die Strafe für männliche Wollust waren Geschlechtskrankheiten. Die Behandlung dieser wird auch in der Ausstellung verraten.



Lucas Cranch d.Ä., Adam und Eva ,1537
© KHM-Museumsverband, Wien


Die Schau beginnt mit einer überraschenden Filmsequenz. Ausgelassen und unkoordiniert hüpfen unbekleidete junge, unschuldige Frauen und Männer frei von Verboten oder Schamgefühl zu rhythmischer Barockmusik durch einen Paradiesgarten und sind glücklich. Hintergedanken gibt es keine. Der Sündenfall hat noch nicht stattgefunden, Konzepte wie Scham oder Erotik existierten ebenfalls nicht. Aber diese Eintracht verflüchtigt sich schnell, denn schon das Gemälde von Guillaume de Marcillat (Die Erbsünde) direkt daneben weiß es anders. Darauf starren acht sittsam gekleidete Kirchenmänner verstohlen auf eine nackte Eva, die den Apfel in der Hand hält. Sie ist schuldig geworden!

Nach der folgenschweren Apfel-Affäre ist das Paradies verloren. Sexualität, Scham, Schuld, Erbsünde entstehen. Maria bleibt unbefleckt, ihr Sohn Jesus flüchtet vor den Ausschweifungen der antiken Götter und hat Angst vor körperlicher Nähe. „Rühr mich nicht an“, sagt er zu Maria Magdalena der Jüngerin, Sünderin, Büßerin, Verführerin am Grab. Ihr ist ein ganzer Raum gewidmet. Lüstern und lasziv kommt sie auf dem Bild des italienischen Barockmalers Francesco Cairo daher. Am Eingang zum nächsten Raum läuft ein homoerotischer Film, und dann fällt unser Blick direkt auf den Heiligen Sebastian von Guido Reni. Mit diesem jungen, sensuellen Schönling wird die Homosexualität aufgerollt. Ihn, den Leibwächter und Hauptmann der Prätorianergarde, hat sein Arbeitgeber Kaiser Diokletian von numischen Pfeilen durchbohren lassen, nachdem er sich zum Christentum bekannt hatte. Sebastian blickt aber nicht schmerzhaft sondern verzückt, scheint die Pfeile zu erhoffen. Guido Renis Meisterwerk war übrigens das Lieblingsbild von Oscar Wilde. Askese ist ein weiteres Thema, und hier darf natürlich die Verführung des Heiligen Antonius nicht fehlen. Das Zölibat wird angerissen und auf den Kirchenvater Augustinus hingewiesen, denn ihm hat die Kirche unter anderem ihre negative Sicht auf Sexualität zu verdanken.



Guido Reni, Hl. Sebastian, um 1615
© Musei di strada Nuova, Palazzo Rosso, Genua


„God said, that sex should repulse, unless it leads to results; and so we crowd the world, full of consenting adults“ (dt.: Gott hat gesagt, dass Sex abstoßend ist, es sei denn, er führt zu Ergebnissen; und so bevölkern wir die Welt mit zustimmenden Erwachsenen), heißt es in Leonard Bernsteins von der katholischen Kirche bis ins Jahr 2000 nicht beachteten Mass. Ehelicher, erlaubter Sex wird im 6. Kapitel abgehandelt. Aber keusch musste nur die Frau sein, und dafür wurde viel getan. Dies dokumentiert wunderbar eine Allegorie der Keuschheit von Hans Memling.

Im letzten Abschnitt geht es um den verletzten Körper, um Missbrauch und Gewalt, um Dominanz – auch ein aktuelles Thema der Kirche im Moment. Die Schau endet mit einem Vergleich von zwei großartigen Gemälden zum Thema i>Susanna und die Alten. Eines ist von Veronese, und das zweite, in Privatbesitz, hat die großartige Barockmalerin Artemisia Gentileschi gemalt.



Hans Memling, Allegorie der Keuschheit, 1480
© Institut de France, Musée Jacquemart-André, Paris


150 Exponate aus den letzten 2000 Jahren beleuchten in der Ausstellung den Standpunkt der Kirche zu Körperlichkeit, Lust und Erotik in der Kunst. Diese Zurschaustellung und Auseinandersetzung von Sexualität und Nacktheit wäre vor ein paar Jahrzehnten von der Kirche noch als Provokation polemisiert und verdrängt worden. Nun steht diese Ausstellung unter der Schirmherrschaft von Kardinal Reinhard Marx, der sogar die Anregung dazu gab.


Christa Blenk - 6. April 2023 (2)
ID 14138
Die Sonderausstellung Verdammte Lust! Kirche. Körper. Kunst auf dem Freisinger Domberg ist gut und sehr anschaulich aufgebaut und zeigt zum Teil bedeutende Werke von Cranach, Dürer, Veronese, Artemisia Gentileschi, Reni, Ricci, Memling und viele andere, auch unbekanntere, aber sehr interessante, manchmal ironische, Bilder und erotische Skulpturen.

Die Schau ist noch bis zum 29. Mai 2023 zu sehen. Der Eintritt kostet 8 Euro. Begleitend dazu gibt es einen sehr gut gemachter Essay- und Katalogband.

Freising liegt 30 km nördlich von München und war mehr als 1000 Jahre lang Bischofssitz. Erst 1821 wurde dieser nach München verlegt.


Weitere Infos siehe auch: https://www.dimu-freising.de/


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