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Roman

Überirdisch





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„Es ist unfassbar. Und gleichzeitig fällt es schwer, irgendetwas anderes zu glauben. Kaum zu glauben, wie schwarz der Raum um die taghelle Erde ist, die das gesamte Licht absorbiert – und doch auch schwer, an irgendetwas anderes als diese Schwärze zu glauben, die atmet und lebendig ist und lockt.“ (Samantha Harvey, Umlaufbahnen, S. 116)

*

Die Rückholaktion der NASA-Astronauten Sunita Williams und Barry Wilmore sorgt derzeit weltweit für Aufsehen. Sie landeten nach neun Monaten auf der internationalen Raumstation ISS wieder auf der Erde. Genauer: die Kapsel fiel vor der Küste Floridas ins Meer und wurde dort gleich von Delfinen neugierig umkreist. Der lange Aufenthalt war ungeplant und unfreiwillig. Er hing zusammen mit Problemen der pannengeplagten Boeing-Raumkapsel Starliner. Die beiden Astronauten sprechen nun viel in den Medien über ihre Erfahrungen im Weltraum. Wenn sich Suni Williams auf das Wiedersehen mit ihren beiden Hunden freut, wirkt sie recht sympathisch, irdisch und bodenständig.

Um schwerelose Leichtigkeit und einhergehende existentielle Fragen, ein Abdriften von Weltraumastronauten in vergeistigte Sphären, geht es hingegen in Samantha Harveys Roman Orbital (2023), der November 2024 auch hierzulande erschien. Umlaufbahnen, der deutsche Titel des Werks, deutet auf eine Abfolge von Erdumläufen hin. Im Buch umrundet eine sechsköpfige Crew diese Erde mit ihrem Raumschiff stets aufs Neue. Das Werk besteht aus Sinneseindrücken und Bewusstseinsströmungen, überwiegend von den Crewmitgliedern. Die Perspektiven wechseln dabei fließend und oft wird der Planet Erde betrachtet:


„Wahrscheinlich ist das eine kindische Vorstellung, aber ihm kommt der Gedanke, dass man die Erde, könnte man sich nur weit genug von ihr entfernen, endlich verstehen könnte – sie mit den eigenen Augen als Objekt sehen könnte, als einen kleinen blauen Punkt, eine kosmische und geheimnisvolle Sache.“ (S. 88)


Der Traum von einer grenzenlosen Freiheit „über den Wolken“ ist nicht erst seit Reinhard Meys Schlager von 1974 ein Erfolgshit. Harvey erhielt für ihr Werk Ende 2024 den wichtigsten britischen Literaturpreis, den Booker Preis. Die menschliche Sehnsucht nach Weite weiß Harvey effektvoll in Bildern einzufangen, wenn unsere Erde aus dem Weltraum stets neu fokussiert wird:


„Was ihre Schilde nicht abwenden, erledigen die Magnetfelder der Erde, und das Dosimeter im Labor schlägt kaum aus. Die Wolken aus Sonnenpartikeln bauschen sich auf, Energie pulsiert, explodiert, ein riesiger, rasender Ball aus Rage.“ (S. 149)


Die heute fünfzigjährige Autorin ergeht sich in ihrem fünften Roman in Ausführungen über gewaltsam zerstreute Galaxien oder Verzerrungen unter einem Eindruck der Sonnensysteme und über den Klang der Planeten. Nur zaghaft werden die sechs Crewmitglieder – zwei Frauen und vier Männer aus fünf unterschiedlichen Herkunftsländern – selbst beleuchtet, wenn es etwa über ihren Weltraumfahrerehrgeiz heißt:


„Aber wenn es darum geht, was sie hierhergebracht hat, welche Sehnsüchte und Motive, das haben sie alles hinter sich gelassen. Sie haben es hierhergeschafft, nur das zählt für sie. Du kommst hierher, und dein Leben beginnt von Neuem, und alles, was du mitgebracht hast, hast du in deinem Kopf mitgebracht, und wenn es nicht gerade gebraucht wird, bleibt es auch in deinem Kopf, denn das hier jetzt, nur darum geht es. Das hier ist Zuhause.“(S. 80)


Die Figuren achten penibel auf Einhaltung der Bordregeln, etwa dass sie auf dem engen Raum drinnen keine Flüssigkeiten, wie Tränen, freisetzen. Sie nehmen sich untereinander als „ziemlich einzelgängerisch und verschlossen“ (S. 164) wahr. Eine Handlung oder Interaktion der Figuren miteinander kommt leider recht kurz, da Konflikte meist nur angedeutet werden:


„Manchmal möchte Nell Shaun fragen, wie er Astronaut sein und gleichzeitig an Gott glauben kann, den Gott aus der Schöpfungsgeschichte, doch sie weiß wie seine Antwort lauten würde. Er würde fragen, wie sie Astronautin sein und nicht an Gott glauben kann. Sie würden auf keinen gemeinsamen Nenner kommen.“ (S. 75)


Die Figuren leben mit stets gleichen Handlungen gewohnheitsmäßig nebeneinander her. Es gibt vor Ort keine nennenswerten Auseinandersetzungen oder Gefahren. Leider kommt so kaum Spannung auf. Harvey fängt vor allem sensibel und teils in starken Bildern das Privileg der Astronauten ein, für die Menschheit im Weltraum außerhalb der irdischen Atmosphäre unterwegs zu sein:


„Ein Rausch; das höhenkranke Heimweh im Weltraum ist wie eine Droge. Der Wunsch, gleichzeitig nicht hier sein und für immer hier sein zu wollen, das Herz ausgehöhlt vor Verlangen, nur dass es keine Leere ist, sondern eher das Wissen darum, wie viel hineinpasst.“ (S. 168)


Mit ihrem Roman trifft Harvey eine menschliche Sehnsucht nach Geschichten jenseits des Irdischen. Für Orbital erhielt sie auch den Hawthornden Prize for Literature 2024 und war nominiert für den Orwell Prize for Political Fiction 2024 sowie den Ursula K. Le Guin Prize 2024.

Übersetzerin Julia Wolf ist nun für Umlaufbahnen nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2025 in der Kategorie Übersetzung. Leider wirkt gerade die deutsche Übersetzung passagenweise recht schwach, wenn etwa der Urknall und daraus entstehende Planeten mit einer „kosmischen, klumpenden, klirrenden, krachenden Wildwest-Schießerei“ (S. 182f.) beschrieben werden. Die leider insgesamt etwas ermüdende Lektüre beinhaltet teils sogar simple Listen ohne eindeutig zuordenbaren Mehrwert für den Handlungsfortlauf.


Ansgar Skoda – 22. März 2025
ID 15196
dtv-Link zu den Umlaufbahnen


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