Stardome,
Selfies,
Schwermut und
Sterblichkeit
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Bewertung:
„Wie er schreibt und dabei lächelt, nicht selbstzufrieden und eitel, sondern beseelt von der Unendlichkeit des Erzählbaren – und wie ich ihm wünsche, dass er für immer genau an diesem Ort bleiben könnte.“ (Adriano Sack, Noto, S. 321)
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Zärtlichkeit schwingt in dem Gedanken an eine mögliche Beständigkeit und an ein Bild des vertrauten Geliebten mit. Konrad hat vor kurzem seinen langjährigen Lebenspartner, Adriano, verloren, der überraschend bei einem tragischen Unfall starb. Er verinnerlicht vergangene Momente, trauert, nimmt Abschied.
Adriano Sacks Roman Noto spielt die meiste Zeit auf Sizilien in der titelgebenden Stadt Noto, wo der Ich-Erzähler ein Haus besitzt. Der attraktive Mittvierziger Konrad sucht halbherzig nach möglichen Käufern für das Haus, das er zusammen mit dem Verstorbenen im Süden des Landes kaufte und umbaute.
Leider wird dieser zentrale Plot des Abschiednehmens regelmäßig durch recht unglaubwürdige Nebenschauplätze unterbrochen. So erzählen reihenweise oberflächliche Anekdoten von Begegnungen mit Weltstars.
Groupies würden für diese wiedergegebenen Erlebnisse Schlange stehen: Mick Jagger ist so der illustre Gast auf einer Hochzeitsfeier eines bekannten Frauenpaares.Vertraulich erzählt er Umstehenden über eine geplante Kompilation mit Billie Eilish; alte Thunfischfängerlieder sollen gecovert werden (S. 318). Zuvor begegneten wir Gwyneth Paltrow in der Wüste in einem Bärenkostüm. Sie monologisiert, wie unter Drogen, zusammenhangslos über verpasste Star-Events (S. 223). Elton John lässt sich Diebstähle während einer Party in seinem Palazzo in Rechnung stellen (S. 243). Ständig fallen prominente Namen wie Karl Lagerfeld, Dean Martin oder Umberto Eco (S. 307). Vieles erscheint unecht, und einige vermeintliche Stars im Freundeskreis stellen sich als weniger bedeutend oder sogar als Doubles heraus. Es werden Motto-Partys veranstaltet, Frisuren bewundert, Selfies geknipst (S. 308f.)…
Adriano Sack entlässt uns in seinem Romandebüt in elitäre Kreise und eine verruchte und geheimnisvolle Welt, in der etwa Elefantenschädel noch als besonders ehrenvolle Geschenke dienen (S. 330).
Bornierte Oberflächlichkeiten einer Gemeinschaft ziehen sich durch das Geschehen. Da erlebt eine Reisegemeinschaft, der auch Konrad angehört, in den Bergen die Geburt eines Wildpferd-Fohlens. Einer der Teilnehmer tauft dieses neugeborene Wesen kurzerhand „Bitch“ (S. 220) mit einer einfallslosen Begründung:
„So heißt der Wellensittich von meinem Friseur in Neukölln.“ (Ebd.)
Auch der Erzähler selbst erscheint oft oberflächlich. Er hat einen Blick für Designerkleidung, Stil und checkt muskulöse Körper neuer männlicher Bekanntschaften einigermaßen lüstern ab:
„Cristiano wirkt wie ein Elite-Internats-Streber, trägt Sportswear, die wie maßgeschneidert aussieht (vielleicht ist auch nur sein Körper maßgeschneidert), und eine Frisur wie ein Profifußballer: ausrasiert und seitengescheitelt, reaktionär und instagrammable.“ (S. 238)
Konrad flirtet mit männlichen Zufallsbekanntschaften, lässt sich jedoch (noch) nicht auf längere Bindungen ein. Das Romangeschehen wird teilweise auch aus der Sicht des verstorbenen Lebenspartners erzählt, da Tagebucheinträge Adrianos unangekündigt wiedergegeben werden und der Ich-Erzähler auch mögliche Reaktionen seines verstorbenen Weggefährten mitdenkt und wiedergibt. Im Romanverlauf zeigt Konrad sich des Öfteren melancholisch und schwermütig. Er wird mitunter von einer befreundeten Familie getröstet, die im Nachbarhaus wohnt.
Leise Spannung kommt auf, wenn Konrad und sein hinzukommender Freund Santi im Romanverlauf von einem in Hausnähe ausgebrochenen Brand heimgesucht werden. Im heißen Sommer gibt es tatsächlich auch auf Sizilien regelmäßig Großbrände. Schilderungen zu der Brand-Problematik erscheinen jedoch einigermaßen unbeteiligt und trotzdem reißerisch:
„In manchen Jahren ist es nicht so dramatisch, da brennt es im Naturschutzgebiet, steigt von einem Schrottplatz klebriger schwarzer Rauch auf, und am Rande eines Orangenhains hängen verbrannte Strommasten schräg über dem Boden. Sizilianischer Sommeralltag. In anderen Jahren ist es blanker Terror. Es qualmt, züngelt, brennt von Mai bis Oktober. Irgendwo sind immer Flammen oder Rauch zu sehen – am Horizont oder gleich nebenan. Ganze Berge werden an einem Nachmittag verwüstet, die WhatsApp-Chats der Selbsthilfegruppen piepen ohne Unterbrechung, der Sommerdunst riecht nach brennenden Gummi, das Rattern der Löschhubschrauber übertönt den Lärm der Zikaden, die lokalen Zeitungen schreiben von Krieg.“ (S. 183)
Nicht anders als zu erwarten wird die später aufgeklärte Brandursache auf Hinwirken des Erzählers vor der Justiz vertuscht und im Romanverlauf nicht neu aufgegriffen. Bei möglichen Konflikten kommt es in Noto selten zu einer Konfrontation oder einem Ausagieren, oft werden sie beiseitegeschoben und vermieden. Ein somit manchmal ein bisschen ärgerliches Buch, in der in seltenen Momenten der Schmerz des trauernden Konrad zu berühren vermag.
Ansgar Skoda - 5. Juni 2024 ID 14783
Nagel und Kimche-Link zum Roman
Noto
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