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Die Vorstellung berühmten Schriftstellern bei Ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen, hat etwas Faszinierendes, und auch die Umgebung, die den kreativen Prozess begleitet könnte dabei nicht unerheblich sein. So hat das Buch Schreibwelten mein Interesse auf sich gezogen, zumal ich selbst schriftstellerisch tätig bin und natürlich gerne Vergleiche anstelle oder neue Inspirationsquellen aufgreife. Doch dieser Anspruch hat sich kaum erfüllt.
Um es vorwegzusagen: Wir erleben in diesem Buch nicht, wie James Bond oder Hercule Poirrot das Licht der Welt erblicken. Die Arbeitszimmer der populären Autoren werden zwar beschrieben, doch die „Geburtsstunde“ der Helden bleibt im Dunkeln. Das mag schon daran liegen, dass viele der vorgestellten Schriftsteller mittlerweile verstorben sind und zu einem diesbezüglichen Interview nicht mehr befragt werden können. So stützt sich Alex Johnson auf Zitate, die meist von Dritten stammen und eher Gemeinplätze bedienen. Schade, denn es gäbe genug zeitgenössische Autoren, die vermutlich ihre PCs quälen und nicht auf altertümliche Schreibpulte zurückgreifen und lebendige Auskunft liefern könnten. Wie die Auswahl der „Schreibtischtäter“ zustande kam, wird dem Leser nicht verraten, lediglich dass es Bestsellerautoren seien, die ich allerdings längst nicht alle kenne. Um das Thema unter einen Hut zu bringen, versucht der Autor in seiner Einführung unter ihnen Gemeinsamkeiten zu entdecken. Das ist bei Künstlern sicher ein schwieriges und vielleicht auch unangebrachtes Unterfangen, lebt die Kunst doch von Kreativität und Individualität.
So nimmt Johnson für sich in Anspruch, dass nach seinen Recherchen zumindest die Schreiberlinge am Morgen besonders konzentriert arbeiten, um dann selbst ein Gegenbeispiel zu liefern, denn James Baldwin arbeitet gerne und fast ausschließlich in der Nacht.
Die Autoren werden mit einem kleinen Foto abgebildet, über ihre Literatur erfahren wir wenig; und wer sich nicht vorher mit den Künstlern beschäftigt hat, geht an dieser Stelle leer aus. Bilder ihres Wohnortes und vor allen Dingen von ihrem Schaffensreich sind nicht vorhanden. Ob es diese nicht gibt oder sie aus rechtlichen Gründen nicht abgedruckt werden können, ist nicht thematisiert, stattdessen werden wir mit zwar durchaus attraktiv gestalteten farbigen Illustrationen abgespeist, die inhaltlich aber völlig nichtssagend sind.
Immerhin gibt es einige Zitate, die die Umgebung und den Menschen darin vor uns lebendig werden lassen. So äußert sich Charles Miller über den Tisch seines Dichterkollegen W.H. Auden:
„Darauf gab es Stapel von Büchern und Zeitschriften, halb volle schmierige Kaffeetassen, Brotreste und einen Teller voller Zigarettenstummel und Olivenkerne. Besteck und Geschirr waren verdreckt und es stank nach Zigaretten und abgestandenem Kaffee. Selbst die Luft, so (Margaret) Gardiner, schmeckte irgendwie braun. Igor Strawinsky nannte Auden 'den schmutzigsten Mann, den ich je mochte'. Auden selbst verkündete, er hasse all das Chaos zwar, 'aber so wie ich arbeite, bleibt es nicht aus'." (S. 22)
Davon hätte es mehr bedurft. Das Buch wird für mich seinem Anspruch nicht gerecht. Sicher hat der Autor viel Mühen in seine Recherchen gesteckt, informiert uns über die Zusammensetzung von Tinte, die seinerzeit zum Schreiben diente, doch ein lebendiges Bild der Schreibwelten kann er damit zumindest für mich nicht erzeugen.
Ellen Norten - 27. Mai 2023 ID 14218
wbg-Link zu
Schreibwelten von Alex Johnson
Post an Dr. Ellen Norten
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