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nachDRUCK # 2

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Roman

Zwischen Weltuntergang

und Selbstzweifeln

– eine Generation

im Stillstand





Bewertung:    



Alina Lindermuth wagt mit Stammzellen ein ambitioniertes Gedankenexperiment: Was, wenn die Natur ihren größten Widersacher – den Menschen – auf sanfte, aber unumkehrbare Weise in sich zurückholt? Doch bereits hier lohnt es sich innezuhalten und diese Prämisse zu hinterfragen. Die Vorstellung, dass der Mensch der Gegenspieler der Natur sei, entstammt einem überholten Weltbild, das seine Wurzeln im Anthropozän hat. Erst durch diese künstliche Trennung zwischen Mensch (Kultur) und Natur wird die vermeintliche Gegensätzlichkeit geschaffen – eine Perspektive, die weniger auf objektiven Gegebenheiten als vielmehr auf einer tief verankerten kulturellen Erzählung basiert. Wer den Menschen als Störfaktor betrachtet, setzt voraus, dass er außerhalb der Natur steht – eine Sichtweise, die in der aktuellen wissenschaftlichen und philosophischen Debatte auch in Frage gestellt wird.

Die Geschichte von Ronja und Elio beginnt als klassische Liebeserzählung, in der die Faszination für Natur ein verbindendes Element ist. Doch als sich die sogenannte Dendrose ausbreitet – eine mysteriöse Transformation von Menschen zu Bäumen –, verlagert sich der Fokus auf gesellschaftliche Reaktionen und politische Verwerfungen. Lindermuth stellt viele interessante Fragen – etwa wie Unternehmen, Krankenhäuser oder Regierungen mit einer unerklärlichen Veränderung umgehen würden. Doch die erzählerische Perspektive bleibt dabei erstaunlich introspektiv. Die großen ökologischen und politischen Dimensionen des Phänomens werden angerissen, aber nicht konsequent durchdacht.

Besonders auffällig ist, wie stark der Roman von den Ängsten einer Generation geprägt ist, die sich selbst als Opfer größerer Entwicklungen sieht. Stammzellen liest sich mitunter wie eine Nabelschau junger Menschen, die sich vor der Zukunft fürchten, sich aber kaum mit Lösungen auseinandersetzen. Ein zentrales Motiv ist die Unsicherheit gegenüber der eigenen Fortpflanzung: Das Unvermögen oder der Unwille Kinder zu bekommen, wird als Symptom einer Welt beschrieben, die sich in Auflösung befindet – doch anstatt diesen Umstand kritisch zu reflektieren, wirkt er hier fast wie eine unausweichliche Realität.

Auch in der Darstellung individueller Lebensentwürfe zeigt sich eine auffällige Konsumfixierung: Während sich existenzielle Fragen immer weiter in den Hintergrund drängen, treten Ersatzhandlungen in den Vordergrund – etwa das Streben nach luxuriösen Hobbys wie dem Fahren teurer Rennräder. Die Protagonisten sind weniger von echter Not betroffen als von einer tiefen Orientierungslosigkeit, die nicht zuletzt selbstverschuldet scheint.

Lindermuths Stil ist atmosphärisch dicht, ihre Sprache präzise, doch der Roman bleibt inhaltlich seltsam unentschieden: Ist Stammzellen eine Dystopie, eine Metapher oder eine resignierte Gesellschaftsanalyse? Am Ende überlässt die Autorin diese Deutung den Lesenden – doch genau hier liegt auch das Problem. Es fehlt eine klare Haltung oder eine tiefere Auseinandersetzung mit den von ihr aufgeworfenen Fragen.

Unterm Strich bleibt Stammzellen ein stilistisch gelungener Roman mit einer faszinierenden Grundidee, der aber letztlich mehr über die Ängste einer saturierten Generation erzählt als über die tatsächlichen Herausforderungen unserer Zeit. Wer nach einem scharfsinnigen Kommentar zur Klimakrise sucht, wird hier nur bedingt fündig – doch als Spiegel der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verunsicherung funktioniert das Buch durchaus.


Steffen Kühn – 22. März 2025
ID 15197
Verlagslink zum Roman Stammzellen


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