Grenzen –
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"Meistens fließt dabei Blut. Selbst wenn man die Dekolonisierung einmal ausklammert, verdanken über 100 Staaten ihre Grenzen Kriegen. Nicht von ungefähr leitet sich der französische Begriff 'frontière' von Front ab." (Atlas der Unordnung, S. 10)
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Das [s.o.] klingt bedrohlich, doch die Realität sieht für die meisten EU-Bürger anders aus. Viele Grenzen sind kaum noch wahrzunehmen, bei einem Spaziergang kann man ohne Probleme einen kurzen Auslandsaufenthalt erleben, ein Bier im Nachbarland trinken und wieder zurückkehren. Doch diese entspannte Situation kann sich von einem Tag auf den anderen ändern. Die Coronakrise sperrte Grenzen zu, meist zwar nur vorrübergehend, aber dennoch sehr konsequent.
In einer solchen Situation werden Grenzen wieder zu Barrieren. Migranten, Flüchtlinge, aber auch Bewohner Israels, dem Sudan oder staatenlose Menschen kennen dieses zugenüge. Da können Ländern gar nicht oder nur mit enormen Verwaltungsaufwand und Bürgschaften besucht werden. Das gilt für den Einzelnen.
Politisch gesehen gilt die Grenze, vorausgesetzt sie wird von beiden Anrainerstaaten akzeptiert, als Mittel ein Miteinander zu sichern und mögliche Konflikte auszuschalten. Grenzen sind in unserer modernen Welt wichtig.
Die beiden Autoren Delphine Papin & Bruno Tertrais zeigen die verschiedenen Fassetten von Grenzen, sortieren, lokalisieren und liefern historische, wie geschichtliche Hintergründe. Die 60 Karten mit ihren umfassenden Legenden beschreiben Besonderheiten in der Vergangenheit oder spiegeln den aktuellen Stand (2020) der Dinge wider. Damit können sie sehr schnell veralten, doch das trifft nur bedingt zu.
Beispiel Russland-Ukraine Krieg. Die Karte zeigt die Brisanz der Region: Militärstützpunkte, umstrittene Grenzverläufe, prozentuale Verteilung der Sprachen Russisch und Ukrainisch sowie Hilfeleistungen. Auch wenn der aktuelle Krieg nicht abgebildet sein kann, so wird doch deutlich, warum Putin gerade hier seine Invasion startete.
Auch im Nahen Osten werden die Spannungen durch detaillierte Karten von israelischem Kernland, Palästinensergebieten, Siedlervorstößen und der komplizierten Lage der Stadt Jerusalem aufgezeigt. Karten, die intensiv recherchierte Sachverhalte darstellen, ohne sie zu bewerten.
Es sind also keine bloßen Landkarten, die die Lage eines Landes charakterisieren. Natürlich gibt es auch die natürlichen Grenzen, Meere und Flussverläufe, wobei auch diese ihre Besonderheiten haben. Hier können Veränderungen stattfinden, wenn sich beispielsweise ein Flusslauf verschiebt. Bei der Arktis werden die Forderungen der verschiedenen umgebenden Staaten aufgezeigt.
Desweiteren wird unterteilt in Grenzen als Vermächtnisse, in umstrittene Grenzen, in Mauern und Migration. Die am schärfsten bewachte Grenze ist die zwischen Nord- und Südkorea. Zusammen mit der indisch-pakistanischen Grenze ist dies die am stärksten militarisierte Zone der Welt.
Aber es gibt auch kuriose Grenzen. Belgien besitzt 22 kleine Enklaven in den Niederlanden. Die Gemeinde Baarle-Hertog umschließt ihrerseits acht niederländische Unterenklaven. Alle sind extrem eng miteinander verflochten, ein Haus besitzt sogar zwei Nationalitäten, weil sich seine Vordertür genau auf der Grenze befindet. Zu Konflikten führt dies nicht.
Wer ein Faible für Karten hat, wird dieses Buch kaum aus der Hand legen können, denn die Karten erzählen Geschichten und erklären Hintergründe. Dieser besondere Atlas der Unordnung kann aber auch bei speziellen Fragen als Nachschlagewerk dienen. So verdeutlichen die Lage Bergkarabachs, Syriens, Iraks und Malis, warum gerade diese Länder zu Konfliktherden werden konnten. Wird in der Tagespresse über neue Unruhen berichtet, so erklären die entsprechenden Darstellungen, worin diese begründet sein können.
"Jede Grenze, wie auch jedes Medikament, ist Heilmittel und Gift zugleich. Und daher eine Frage der Dosierung. (Régis Debray)." (S. 4)
Weitere dreißig Zitate verschiedener Menschen, viele davon wichtige Politiker, stehen dem Buch voran. Es geht um Grenzen, im guten wie im schlechten Sinn.
Ellen Norten - 20. Mai 2022 ID 13631
wbg-Link zum
Atlas der Unordnung
Post an Dr. Ellen Norten
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