Mutig
quergedacht
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Da werden in Berlin kurz hintereinander zwei Leichen gefunden, Gesicht und Fingerkuppen sind verätzt, was eine Identifikation äußerst schwierig macht. Kommissar Eberhard Dahlberg und seine Leute gehen von zwei zusammenhängenden Taten aus, doch offen bleibt bei diesen unheimlichen Fällen, ob nicht der zweite Mord von einem Nachahmungstäter vollzogen wurde.
Parallel lernen wir Alexander kennen, der in der Berliner Mordkommision arbeitete und als V-Mann einen gefährlichen Job in Russland macht. Hier wird der Zusammenhang zu den Berliner Morden zunächst nicht offensichtlich, doch es scheint im Bereich des Rechtsextremismus eine Verbindung zwischen Berlin und Moskau zu geben. So kommt es im Verlauf der Handlungen zu dem kuriosen Ereignis, dass Kommissar Dahlberg seinen befreundeten Kollegen Alexander bei einem konspirativen Treffen von Islamisten und Rechtsradikalen beobachtet, beide jedoch weder Kontakt miteinander aufnehmen können noch sich gegenseitig bei den Ermittlungen offenbaren dürfen.
Unheimlich, das ist das Wort, was über allem schwebt und was den Krimi lesenswert macht. Aber es ist auch die mutige Querdenke der Autorin, die sie in den Figuren des Iraner Ramin Noury und seiner Frau Azada sprechen lässt. Beide forschen über Verbindungen zwischen Vertretern des Dritten Reichs zu denen der arabischen Welt, kritisieren aber auch den heutigen Islam. Azada liefert sich mit dem Kommissar ein hitziges Gespräch:
„'Bestimmt die katholische Kirche ihr Leben?'… Sie klang bissig. 'Haben die Evangelen bei ihrer Partnerwahl mitgeredet? Bekommt man Probleme, wenn man sich über den Papst lustig macht?'
Dahlberg musste alle drei Fragen mit nein beantworten.
'Im übrigen glaube ich, das die christlichen Kirchen es sehr gerne hätten', fuhr sie mit einem sarkastischen Unterton fort, 'wenn viel mehr Gläubige vor ihnen auf dem Boden liegen würden. So wie die Moslems vor den Imanen.'"
(Carla Kalkrenner, Die Sonne über Berlin, S. 293)
Eine Muslimin kritisiert ihre Glaubensbrüder aus Insidersicht, stellt den heutigen Islam als rückgewandte Religion dar, die in ihrer Ausprägung in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts deutlich toleranter und liberaler war.
Es ehrt die Autorin, dass die in Gesprächen hingeworfenen Zitate sorgfältig recherchiert wurden und am Ende des Buches mit Quellen aufgeführt werden.
Neben den religionskritischen Aspekten nimmt der Krimi immer wieder neue Wendungen, die Tathergänge und Täter bis zum Schluss unvermutet sein lässt. Carla Kalkbrenner hat ein spannendes Buch geschrieben, auf das man sich als Leser einlassen muss, da der Beginn sehr vielschichtig ist. Doch die Mühe lohnt sich.
Bleibt anzumerken, dass das Buch, erschienen im Kleinverlag der Autorin, der zweite Band ihrer Berliner Krimihelden ist. In der Aufmachung, speziell im Satz, kommt das Buch trotz der angedeuteten Blutflecke sehr schlicht daher. Dennoch, bei der Bücherflut, die in unserem Land herrscht, bei den vielen Eigenveröffentlichungen zeigt ein eigener Kleinverlag ein gutes Stück Mut und Engagement. Und die Autorin hat wirklich etwas zu sagen.
Ellen Norten - 21. Mai 2019 ID 11427
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