Mumienparties
und Turbankult
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Baden-Baden 1924. Im mondänen Kurbad greift eine Art Ägyptomanie um sich. Die Ausgrabungen am Nil und die sehnsuchtsvollen Berichte darüber beflügeln Modewelt und Kunst. Dazu passt die Aufführung von Verdis Aida mit einer Sopranistin, die nicht aus Europa stammt und deren exotisches Aussehen für einige Aufregung sorgt – positiv unter den modernen Musikbegeisterten und negativ unter denen, die dem neuen deutschen Ideal unter Adolf Hitler folgen.
Alma, das nicht ganz biedere Fräulein vom Amt und ihre Freundin Emmi genießen die turbulente Welt, bis ein Mord das heitere Treiben beendet. Der Tenor des Ensembles, der sich zuvor noch als charmanter Tanzpartner von Emmi erwiesen hatte, wird Opfer eines Meuchelmords. Wer könnte Interesse daran haben, den erfolgreichen Sänger zu töten? Schnell gerät Emmis eifersüchtiger Freund in Verdacht, und Alma steckt ihre Ermittlernase tief in die Umgebung des Opfers, um den Verdächtigen zu entlasten. Tatsächlich tritt Eifersucht nun als Mordmotiv zurück. Die Ausgrabungsstücke aus dem Tal der Könige, ihr Wert und die Abenteuer der Schaulustigen in Ägypten liefern Hinweise in eine andere Richtung. Zu den Ägyptenreisenden zählten nämlich auch der Tenor wie auch verschiedene Kurgäste. Doch in Baden-Baden sorgt dies erst einmal nicht für Argwohn, sondern für allerlei Tratsch und Klatsch.
"'Womöglich veranstalten sie Mumienpartys.' Auf Almas entsetzten Blick hin erklärte sie: 'Ausgewickelte Leichen auf dem Billardtisch. Und wenn man danach nicht weiß, was man mit ihnen anfangen soll, wirft man sie in den Kamin! Und dazu verteilt man Mumienpulver.'
'Mumienpulver?' Das hatte Alma auch noch nicht gehört und klang genauso furchterregend.
'Zerstoßene Mumien. Mumia vera aegyptiaca. Wird inzwischen auch von bekannten pharmazeutischen Unternehmen vertrieben.' Die Doktorenwitwe kräuselte abschätzig die Lippen." (S. 208)
Nicht nur die Kuriositäten, sondern auch der Mord stehen mit Ägypten in Zusammenhang, das wird für Alma im Rahmen ihrer Recherchen deutlich. Dabei kann sie in diesem zweiten Band nicht auf ihren Kontakt ins Polizeipräsidium setzten, denn sie hat den Heiratsantrag von Ludwig Schiller ausgeschlagen. Eine Ehe hätte für sie das Ende der Berufstätigkeit bedeutet und Alma setzt auf ihre Selbstständigkeit. Dennoch kann sie ihren Geliebten nicht vergessen.
Neben dem munteren Kriminalfall liefert der neue Roman um das Fräulein vom Amt ein interessantes Zeitzeugnis. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Ehemänner bestimmen konnten, ob ihre Frau einem Brotberuf nachgeht oder nicht. Und in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts hing es nicht einmal vom Mann ab, da war die Berufstätigkeit einer verheirateten Frau durch die „Doppelverdienerkampagne“ geregelt, sprich verboten. Meine eigene Oma war ein gutes Beispiel dafür. Obwohl sie erfolgreich bei einer Reederei und später in der Versicherung gearbeitet hatte und in letzterer sogar meinen Opa kennenlernte, endete ihre berufliche Laufbahn jäh mit der Hochzeit. Ich erinnere mich an ihre Einkaufszettel, die sie in Stenografie schrieb, um diese Kurzschrift nicht zu verlernen. Eine lustige Erinnerung mit tieftrauriger Wurzel.
Wie Alma mit dem Problem Liebe und Beruf umgehen wird zeigt vermutlich Band drei vom Fräulein vom Amt, denn der liegt schon fertig in der Schublade des Verlages. Egal welche Wendung sie nimmt, die Welt der Alma Täuber ist stimmungsvoll und vielseitig und ein Mörder entgeht dieser Frau anscheinend nicht.
Ellen Norten - 4. März 2023 ID 14083
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Toten im Kurhaus
Post an Dr. Ellen Norten
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