Lebens-
entwürfe
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Bewertung:
Darüber reden wir später ist der Debütroman der deutschen Journalistin Cornelia Achenbach, in dem es um drei aufeinanderfolgende Generationen geht. Im Mittelpunkt steht Margret, die wahrscheinlich um die 65 Jahre alt ist und deren Mann Gert während des Rasenmähens zusammengebrochen ist und nun im Koma liegt. Keiner weiß, wann und ob er wieder aufwachen wird, und seine Frau ist wie erstarrt, kann gar nichts fühlen oder weinen. Obwohl sie Panik vor Krankenhäusern hat, besucht sie ihren Mann regelmäßig, überdenkt in dieser Zeit aber den Sinn ihres Lebenskonzepts. Mit Gert hat sie einen zuverlässigen und arbeitsamen Mann geheiratet, einen naturverbundenen Forstwirt, doch nun fragt sie sich, was aus ihrem Leben geworden wäre, wenn sie sich damals mit dem Dozenten Andreas eingelassen hätte. Der zeigte Interesse an ihr, obwohl sie verheiratet und schon Mutter ihres Sohnes Michael war. Als sie mit dem zweiten Kind, Anna, schwanger ist, brach Andreas die Beziehung ab. „Und das wirft sie sich in manchen Momenten vor. Nicht mutig genug gewesen zu sein. Das Leben einfach abgesessen zu haben und sich am Ende fragen zu müssen, was ihr wohl entgangen sein mag.“ (S. 95).
Margret blickt auf eine gute Ehe zurück mit einem Haus am Wendehammer, mit Garten, gemähtem Rasen, stets ordentlich gestrichenem Gartenzaun. Ihr Mann bastelt im Hobbykeller und lässt insbesondere der schwierigen und stets wütenden Tochter Anna alles durchgehen, die als Kind noch lange im Bett der Eltern schlafen darf: „... weil seine eigenen Eltern kaum Körperkontakt zu ihm gewollt hatten und weil er es anders machen wollte. Es anders zu machen als die eigenen Eltern war einer der Grundsätze von Gerts Erziehung.“ (S. 81). Gert hatte die Angewohnheit, alle Probleme wegzulachen, ob es um die Pershing-II-Raketen ging oder Tschernobyl. Es war nicht so, dass er sie nicht ernst genommen hätte, aber es war seine Art, damit umzugehen. Die letzten Jahre sprach und lachte er aber nicht mehr so viel.
Gert wollte immer, dass Margret mehr als nur Hausfrau und Mutter ist, obwohl sie damit zufrieden schien. Er sorgte dafür, dass sie zumindest versuchte, ihre Promotionsarbeit in Germanistik zu schreiben. Das war aber sein Bestreben, nicht ihres. Im Laufe des Romans wird klar ersichtlich, dass Margret durch den Schock seines Zusammenbruchs re-traumatisiert wurde und dass das ursprüngliche Trauma in der Familiengeschichte zu finden ist, in der Kriegsgeschichte ihrer Eltern, dem Krieg, den ihre älteren Geschwister auch noch miterlebt haben. Leider verfolgt Achenbach diesen Erzählstrang kaum weiter. Die Erlebnisse der Eltern werden nur sehr grob skizziert, obwohl gerade diese Kriegszeit prägend für die Kriegsgeneration wie auch für die nachgeborenen Kriegskinder und „Kriegsenkel“ waren und sind. (Die transgenerationale Weitergabe von Kriegstraumata wird seit ungefähr 20 Jahren ziemlich intensiv erforscht). Ingrid ist die älteste Schwester und hat am meisten abbekommen. Sie ist nie eine Beziehung eingegangen und lebt allein. Bernhard ist der Liebesfähigste und Familientauglichste der Geschwister mit dem Bestreben, immer alles ins Lot zu bringen. Margrets Sohn Michael folgt dem Sicherheitsstreben seiner Eltern, Tochter Anna hat keinen festen Job und noch keine feste Beziehung.
Achenbach stellt die Lebensentwürfe der letzten drei Generationen vor, und jede davon ist eine Re-Aktion auf die Generation davor. Nach dem Chaos, der Unsicherheit und Gefahr des Krieges, bauten die Menschen danach auf Sicherheit und Wohlstand. Um sich nicht vorwerfen zu lassen, dass sie nichts getan und gesagt haben, wie ihre Eltern während des Dritten Reiches, sind viele der Nachgeborenen AktivistInnen geworden, die sich in den 1980er Jahren für die Friedens- und Umweltbewegungen einsetzten. Es scheint aber keiner ein Lebenskonzept zu entwickeln, das aus den eigenen Anlagen und Visionen hervorgeht, was auch nicht funktionieren kann, wenn das eigene Leben in Relation zu den Eltern gesetzt wird, entweder als Vorbild oder als Antithese. Das alles sind nur grobe Skizzen, aber so spannend, dass es schon ärgerlich ist, nicht mehr zu erfahren. Bei nur 234 Seiten wäre da schon noch Platz gewesen, allerdings sind JournalistInnen darauf trainiert, sich möglichst kurz zu fassen, was bei einem Roman nicht in dem Maße nötig ist.
Insgesamt ist es ein spannender Ansatz zu einer Zeit, in der viele Menschen die Gültigkeit und den Sinn unserer Lebensweise in Frage stellen, sei es wegen der Wirtschaftskrise, Gesundheitsthemen, dem Klimawandel, der Ökologie und anderer Probleme. Da ist es wichtig, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um Entscheidungen ohne solche geschichtlichen und familiären Altlasten treffen zu können. Die Herausforderungen sind groß, und manchmal muss man einen Schritt zurückgehen, um einen besseren Überblick zu bekommen. Insofern bringt Achenbachs Buch durchaus Erkenntnisse, zeichnet ein sehr akkurates Bild der Klischees und Plattitüden in unserem Leben. Es ist auch aus dem Wunsch heraus entstanden, dass wir mehr zusammenhalten und danach fragen sollten, wie es den anderen wirklich geht, denn das geschieht oft nicht einmal in der Familie. Wenn das Ende des Romans ein wenig unbefriedigend ist, weil sich nachträglich viele Kriegsereignisse nicht mehr rekonstruieren lassen, entspricht das der Realität. In vielen Familien wird es solche blinde Flecken in der Geschichte der Vorfahren geben, denn da gibt es kein später mehr, um darüber zu reden.
Helga Fitzner - 30. Juni 2020 ID 12327
Verlagslink zum Roman
Darüber reden wir später
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