Das Wunder
der Sprache
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Die Medien, die verzweifelt gegen den Verlust ihrer Konsumenten ankämpfen, suchen das Heil in Superlativen. Kein Tag vergeht, an dem sie nicht das „Beste“, „Größte“ oder „Schönste“ von irgendetwas verkünden. Zu dieser Unsitte der schamlosen Übertreibung gehört, dass fast ebenso oft erklärt wird, dass nichts mehr so sein wird wie zuvor, wobei das Ereignis, das die angebliche Wende eingebracht hat, beliebig austauschbar ist.
Im Gegensatz zu all diesem Geschwätz gibt es im Leben jedes Menschen tatsächlich einen Zeitpunkt, der für das Individuum alles verändert. Das ist die Periode, wenn es lesen und schreiben lernt. Mit der Beherrschung der Schrift eröffnet sich ihm eine bis dahin verborgene Welt. Und das Bewusstsein von Sprache. Zwar spielt das Kind schon sehr früh mit Sprache, aber es ist die gesprochene Sprache. Mit der geschriebenen Sprache erlernt es die Fähigkeit zur Abstraktion, und mit dem Lesen macht es sich unabhängig von Erwachsenen, die ihm (hoffentlich) bis dahin vorgelesen haben.
Tag für Tag vergrößert sich für das Schulkind durch das Lesen der Wortschatz und mit ihm das Repertoire an unverstandenen Wörtern. Aus England – woher sonst? – erreicht uns nun ein besonders originelles Kinderbuch. Der Titel lautet Die kleine Wortschmiede. Jeden Tag ein neues Wort entdecken. Auf jeder Doppelseite werden sieben Wörter vorgestellt und durch die witzigen Bilder von Monika Forsberg sowie durch knappe Erläuterungen in der Fußleiste erklärt. Unter ihnen befinden sich gebräuchliche und seltene, bekannte und tatsächlich (für die meisten Kinder) neue Substantive, Verben und Adjektive wie beispielsweise Gipfel, Schnäppchen, Sägemehl, Kohldampf, Schabernack, Temperatur, Girlande, Applaus, Exponat, Utensilien, umarmen, platschen, schnarchen, abwiegen, stemmen, erklimmen, garen, rügen, piesacken, investieren, bange, dreist, waghalsig, betucht, überschwänglich, mickrig, untröstlich, brüskiert, prominent, individuell. Über die eine oder andere Definition kann man streiten. Ein Artikel ist nicht unbedingt „ein in einer Zeitung oder einer Zeitschrift erschienener Text“, eine Analyse nicht immer eine „gründliche Untersuchung, um etwas zu verstehen“, und antik muss nicht zwangsläufig mit seinem Vorkommen – „wenn etwas sehr, sehr alt ist“ – umschrieben werden. Auch wären Kinder nicht überfordert, wenn man andere Wortarten – Adverbien, Pronomina – aufgenommen hätte. Dennoch, wer weiß: womöglich kann auch so mancher Erwachsene in einer Zeit, in der das Stammeln um sich greift und Emojis Wörter und Sätze verdrängen, aus diesem Kinderbuch lernen.
Thomas Rothschild – 21. September 2021 ID 13153
Verlagslink zur
Kleinen Wortschmiede
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