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Roman

Wahrheitsliebe

versus

Wirklichkeit





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Sie waren in der Tat Die Könige von Babelsberg, wie schon der Buchtitel von Ralf Günthers historischem Roman ankündigt. Der Kölner Schriftsteller taucht in die glamouröse Welt der weltberühmten Ufa in Berlin ein, in der sich der Meisterregisseur Fritz Lang und die vielseitige Künstlerin Thea von Harbou ein Stelldichein geben. Sie gehörten zu den zentralen Figuren des boomenden Filmgeschäfts, das ihnen Ruhm, Reichtum und Rang verlieh. Da passte der Tod von Fritz Langs erster Ehefrau, der Schauspielerin Elisabeth Rosenthal, im Jahr 1920 gar nicht ins Bild, insbesondere weil Fritz Lang zugegen war, als seine Frau von einem tödlichen Schuss aus seiner Waffe getroffen wurde. Es wurde sehr schnell ein Selbstmord bescheinigt und versucht, die Sache so wenig publik, wie möglich, zu machen.

Ralf Günther nimmt diesen realen Vorfall zum Thema einer fiktiven Geschichte, in der der junge und idealistische Kriminalkommissar Walter Beneken aufgrund der widersprüchlichen Zeugenaussagen von Lang und von Harbou einen Mord nicht ausschließen kann. Da Lang und von Harbou unabkömmlich sind, begibt er sich nach Babelsberg, wo eigens für das Filmen ein riesiger Glasbau entstanden ist. Babelsberg war zu dieser Zeit noch bewaldet und nicht der bebaute Stadtteil, wie wir ihn heute kennen. Beneken ist zwar fasziniert von der Welt, die sich ihm da bietet, aber er ist ein pflichtbewusster Beamter und geht vorschriftsmäßig seiner Arbeit nach. Er begegnet im Lauf der Handlung dem Filmpionier Guido Seeber, der Schauspielerin Pola Negri und dem Superstar unter den Schauspielern, Emil Jannings, lernt dabei auch die zentrale Bedeutung des Regisseurs Joe May und des mächtigen Filmproduzenten Erich Pommer zu verstehen.

In dem mit 272 Seiten relativ kurzen Buch schildert Günther das Universum der Filmschaffenden, den Lärm durch die in die Kamera eingebauten Motoren und durch die parallelen Arbeiten an den Bauten für den nächsten Stummfilm. Denn „gekurbelt“ wird im Akkord, weil das Geschäft sehr einträglich ist. Mit Lang und von Harbou sind allerdings auch hochrangige Visionäre und Künstler am Werk, die mit immer neuen Ideen und Innovationen das relativ neue Medium zur Kunstform erheben. Ihre Bedeutung liegt also nicht nur im materiellen, sondern auch im kulturellen Wert ihres Schaffens. Entsprechend groß ist ihr Selbstbewusstsein.

Auch das Berlin der 1920er Jahre illustriert Günther in groben Zügen. Das schillernde Filmgewerbe steht in diametralem Gegensatz zur Lebenswirklichkeit vieler notleidender Berliner. So bekommt ein ehemaliger Frontsoldat beim Kinobesuch eine Panikattacke und muss herausgeschafft werden, dann erwähnt er die vielen Kriegsversehrten, die zum Straßenbild gehören. Er lässt Beneken resümieren:


„Acht Millionen Kriegsheimkehrer im Reich, verroht, entwürdigt, versehrt bis in die Seele... Desillusioniert, immer noch unter Waffen, schlossen sich nicht wenige den zivilen Kampfverbänden an, die überall aus dem Boden schossen, vereint im Hass gegen die Demütigungen von Versailles... In Ermangelung eines Gegners suchten sie sich Feinde, willkürlich. Berlin erschien Beneken wir ein Magnet der Hoffnungslosen...“ (S. 135)


Lang, der im Gegensatz zu Beneken Kriegsteilnehmer war, lädt ihn ins Luxushotel Adlon ein, wo die Menschen feiern und sich amüsieren. Er will Beneken dazu bewegen, seine Ermittlungen einzustellen.


Haben wir uns dieses Leben nicht verdient, nach den Jahren der Hölle? Nach den Jahren der Entbehrung, des Kriechens und des Buckelns? Haben wir uns nicht verdient, die Welt ganz auszukosten, in all ihren Facetten und Geschmäckern? In all ihren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten? Frei und unbeschwert?“ (S. 225)


Mit Beneken hat Günther einen Kriminalkommissar geschaffen, der zumindest anfangs ungewöhnliche Macken hat, nämlich keine. Sein Vater und sein älterer Bruder sind im Krieg gefallen, also kümmert er sich um seine traumatisierte und von Alpträumen geplagte Mutter, mit der er zusammenlebt. Er soll dem Frieden dienen, damit sie nicht umsonst gestorben sind. Er raucht nicht, er trinkt nicht, er wettet nicht, verabscheut Gewalt und hat ein kindliches Gesicht mit spärlichem Bartwuchs. Das Jungenhafte passt allerdings nicht zu den strengen Prinzipien des Wahrheitssuchenden, der meint, dass auch jemand wie Lang und von Harbou vor dem Gesetz gleich wären. Allerdings kann er keine konkreten Beweise für deren etwaige Schuld oder Mitschuld am Tode der Elisabeth Rosenthal finden.

Der Kriminalkommissar hält trotz gegenteiliger Erfahrung an seinem gerechten Weltbild fest, obwohl sein Vorgesetzter ihn drängt, den Fall abzuschließen und den Mordverdacht fallen zu lassen. Es gibt mächtige Männer, die hinter Lang und von Harbou stehen, damit die ihre lukrative Arbeit weiterhin verrichten können. Darin liegt auch eine Bedrohung für Beneken, der aber nicht nachgeben will. Dabei bewundert er die beiden schon, die weitgehend selbstbestimmt und sexuell ziemlich freizügig leben. Thea von Harbou trägt gelegentlich sogar Hosen, was zu dieser Zeit skandalös war. Abseits des bürgerlichen Lebens breiten sich Etablissements aus, in denen man Wünsche und Triebe ausleben kann, die gesetzlich verboten sind. Dabei sind z. B. gleichgeschlechtliche Aktivitäten und Prostitution strafbar und werden mit Zuchthaus bestraft.

*

In dem grundsätzlich gelungenen Roman ist die Geschichte von Benekens sexuellem Erwachen nicht sehr überzeugend. Dieses bricht sich mitten in den nur sechs beschriebenen Tagen der Ermittlungen Bahn. Er begibt sich dabei in ein Milieu, von dem er sich als Privatperson fernhalten sollte, weil es sich mit seiner Position im Beruf nicht vereinbaren lässt. Damit macht er sich erpressbar. Das passt nicht zu der mit Sachverstand und Intuition gesegneten Figur, wie sie anfänglich angelegt war, die damit ihre eigenen Ermittlungen gefährdet.

Insgesamt geht es gar nicht so sehr um die Lösung des Todesfalls, sondern um psychologische und ethische Fragen, die sich im Laufe der Handlung entwickeln, sowie um die Macht des Geldes und die Korruption. Der Fall ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt, die Unschuld Fritz Langs soll sehr viel später allerdings bewiesen worden sein. Das Buch ist ein fiktiver Roman, der kein klassischer Krimi ist, weil der reale Fritz Lang nie wegen einer Mitschuld verurteilt wurde. Ob Ralf Günther Einsicht in die Polizeiakte hatte, geht aus dem Nachwort nicht hervor.


Helga Fitzner - 21. November 2024
ID 15019
Rowohlt-Link zu den Königen von Babelsberg


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