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Krimi

Egon Erwin Kisch

als Romanheld





Bewertung:    



Prag 1910. Der Halley’sche Komet nähert sich der Erde und sorgt für eine aufgeheizte Stimmung in der Stadt. Die Bewohner sind von Angst und Ungewissheit geplagt. Auch Karel Novák, der alte Zöllner an der Franzens-Brücke ist davon betroffen. Das steigert sich noch, als er nachts auf einer Bank an der Moldau einen flüchtigen Bekannten sitzen sieht – der Mann ist tot.

War es Selbstmord? Eine leere Flasche, in der sich Gift befand, weist darauf hin.

Todesmeldungen gehen in Prag nicht nur an die Kriminalpolizei, sondern treffen über einen engagierten Botenjungen auch beim zuständigen Reporter der Bohemia ein. Dieser Journalist, der sich sofort auf die Sache stürzt, ist kein Unbekannter. Es handelt sich um Egon Erwin Kisch. Er beginnt zu ermitteln, und der Roman nimmt seinen Lauf, als es zu weiteren Toten kommt, die sich offensichtlich ebenfalls vergiftet haben oder ermordet wurden.

Kisch und seine lesbische Freundin und Kollegin Lenka gehen ans Werk, eine aufregende Recherche, die sie in berüchtigte Kneipen führt. Daneben lernen wir aber auch die Mutter von Lenka und die von Kisch kennen und den vermutlich homosexuellen Kollegen Brodesser. Letzteren hat sich Lenka als Alibiehemann ausgesucht, und die beiden verloben sich. Die Romanhandlung ist witzig, unterhaltsam und spannend geschrieben, ein interessanter Kriminalroman, wenn, ja wenn da nicht Egon Erwin Kisch wäre.


"Er machte sich Sorgen um seinen alten Freund, der gedankenverloren in sein Bier starrte.
'Ist Ihnen nicht wohl?'
Keine Antwort. Kisch versuchte es nach einer Weile nochmals.
'Was beschäftigt Sie so?'
Graef beugte sich über den Tisch und sprach leise und verschwörerisch auf ihn ein: 'Ich glaube, es geht um mehr als das, was wir sehen. Nein lassen sie es mich anders formulieren, denn es ist keine Frage des Glaubens: Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Morde nur der sichtbare Teil eines viel größeren Übels sind, das sich unserem Blick entzieht.'
'Das vermute ich auch', sagte Kisch. 'Was macht sie so sicher?'
'Du kannst es göttliche Eingebung nennen, du kannst es Instinkt nennen', sagte Graef, 'ich weiß es einfach. Ich spüre genau, dass etwas über uns ist, eine zerstörerische Kraft, die zuschlägt, wann es ihr passt, in etwa wie ein…'
'… wie ein Komet', sagte Kisch und jetzt musste Graef lachen."


(Die Schatten von Prag von Martin Becker & Tabea Soergel, S. 190)



Kisch, sympathisch, etwas überdreht und Lebemann. Ich gebe zu, ich hatte mich vor der Lektüre nicht mit dem historischen Egon Erwin Kisch beschäftigt, was ich nun nachgeholt habe. Damit hat das Buch zwar einen Pluspunkt bei mir ergattert, denn die Lebensdaten des "rasenden Reporters" sind spannend, werfen den Blick auf einen streitbaren Mann, der für seine Ideale gekämpft hat und dabei Leib und Leben riskierte.

Im Roman dient er als Vorlage für eine Romanfigur. Die Autoren rechtfertigen diese Übernahme einer historischen Figur damit, dass sie ihn nicht Egonek nennen, wie wohl der wahre Kisch von Freunden genannt wurde, sondern schlicht Kisch, manchmal auch mit seinen Vornamen. Was soll dieses Rollenspiel? Für mich wird hier eine prominente Person missbraucht, um einen unterhaltsamen Roman zu schreiben.

Prag und die Probleme um 1910, die nicht nur der Komet, sondern auch die deutsche und die tschechische Ethnie mit sich bringen, werden lebendig und packend dargestellt, und es hätte Kisch als Fantasiegebilde nicht gebraucht, um diesen Roman lesenswert zu machen. Ich kann damit leben, dass Franz Kafka zufällig aus der Arbeiter-Unfallversicherung kommt und ein kurzes Pläuschchen mit dem Protagonisten hält. Doch einen ganzen Roman auf einem fiktiven Kisch aufzubauen, empfinde ich als anmaßend und unangebracht. Das Buch würde genauso gut funktionieren, wenn der männliche Protagonist genau wie die weibliche Hauptfigur Lenka und die anderen Handlungsträger der Fantasie der Autoren entspringen würde.

Doch die Autoren scheinen dieses Selbstbewusstsein nicht zu haben, sie setzten auch in Zukunft auf Kisch, denn es soll nicht sein letzter Fall bleiben, wie schon der Untertitel des Buches ankündigt. Wer mit dem fiktive Kisch leben kann, für den ist sein erste Fall spannende Lektüre, wem dies nicht gefällt, läßt besser die Finger davon.


Ellen Norten - 6. Dezember 2024
ID 15042
Verlagslink zu den Schatten von Prag


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