Der Porträtist
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Was Isolde Ohlbaum für Deutschland, ist Sepp Dreissinger für Österreich: der Porträtist vor allem der Literaturszene, aber auch von Schauspielern, Musikern, Malern, Bildhauern und anderen Künstlern. Jetzt ist unter dem schlichten Titel 365 Portraits ein schwergewichtiger Band erschienen, der beides vereint: eine Galerie von Frauen und Männern, die die österreichische, ausnahmsweise auch die deutsche Kultur der Nachkriegszeit geprägt haben, und eine Dokumentation einer Kunstform, eben der Porträtfotografie, in ihrer höchsten Qualität.
Dieser Wälzer ist ein Rückblick auf das Lebenswerk des 77-Jährigen. Ein Teil der Fotos ist bekannt, aus früheren Publikationen und weil sie, wie die Porträts von Isolde Ohlbaum, regelmäßig verwendet werden, wenn von der porträtierten Person die Rede ist. Darin besteht ein Widerspruch: die Originalität, die Dreissingers Fotos durch die Perspektive und den Moment, in dem er sein Objekt festhält, auszeichnet, verbraucht sich durch die häufige Reproduktion. Manche Prominente sieht man heute unwillkürlich durch die Linse Dreissingers wie eine Generation zuvor durch jene von Franz Hubmann. Da gibt es auch Überschneidungen. Etliche Persönlichkeiten wurden von beiden, von Hubmann und Dreissinger, fotografiert. Der Herr Hawelka vor seinem berühmten Café sowieso.
Einige der Eindrucksvollsten seien exemplarisch genannt: die Fotos von Erich Fried, von Axel Corti, von Hilde Spiel, von Max Riccabona, von Hermes Phettberg, von Ernst Jandl, von Monika Helfer, von Angela Winkler, von Susanne Lothar, von Gerhard Rühm, von Otto Tausig. Sie alle sagen etwas über den Charakter der Abgebildeten aus. Einigen Stars widmet der Band ganze Serien: Friedrich Gulda, Thomas Bernhard (klar), H. C. Artmann, Maria Lassnig, Elfriede Jelinek (sie schmückt auch mit einem eher untypischen Bild den Einband), der in Deutschland wenig bekannten Elfriede Gerstl, in Österreich aber, nicht nur von Elfriede Jelinek, hochgeschätzte „poetische Existenz“, Hermann Nitsch, Arnulf Rainer, Daniel Emilfork, Manfred Deix, Friedensreich Hundertwasser, dem Clown Charlie Rivel. In der Regel lässt Dreissinger seine Objekte nicht posieren. Wo er es doch tut, etwa bei Wolfgang Ambros oder Julia Stemberger, wirkt es eher komisch.
Aus dem Rahmen fällt die Serie „Hausmeister“, mit Porträts „einfacher“ Menschen aus Wien, Paris und Berlin. Und auch mit dem Kapitel „Paris“ begibt sich Dreissinger in eine Welt weit entfernt von den Schönen und Reichen, näher an Robert Doisneau als an der Prominentenverehrung. Sogar Salzburg gewinnt er ungewohnte Alltagsbilder jenseits der Festspiele ab.
Thomas Rothschild – 27. Dezember 2023 ID 14540
Album Verlag-Link zu den
365 Portraits von Sepp Dreissinger
Post an Dr. Thomas Rothschild
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