Schlechter
Geschmack
|
|
Bewertung:
Jahrelang hieß es, vier Geschmacksnoten könnte die menschliche Zunge wahrnehmen: süß, sauer, salzig und bitter. Dann kam Umami hinzu, ein würziger Sinneseindruck der u.a. durch Glutamat ausgelöst wird.
*
Die Versuchung im Buch von Florian Harms steckt nun in einer fiktiven sechsten Geschmackskomponente, die derart köstlich sein soll, dass die Mahlzeit niemals enden dürfte. Das klingt so interessant wie unwahrscheinlich. Gibt es dieses Aroma und wo könnte es stecken, das fragen sich nicht nur die Leser sondern auch ein eifriger Schweizer Lebensmittelgigant, wie auch mehrere Ermittler, die aus verschiedenen Gründen zu einer gefährlichen Suche aufbrechen.
Ab diesem Punkt wird die Story im Buch unglaubwürdig. Zwei der Fahnder, zufällig auch noch Vater und Sohn, stürzen in Marokko mit jeweils einem Passagierflugzeug ab. Sabotage, die niemand merkt? Zudem überleben beide, und der Unfall beschert dem Sohn nun ein verwegenes Aussehen, das ihm Tür und Tor bei orientalischen Frauen öffnet. Als hätte es die Islamisierung der arabischen Welt noch gar nicht gegeben herrscht hier ein lockerer Umgang, der im freizügigen Angebot muslimischer Frauen gipfelt. Hier scheint es, als würden Männerfantasien mit dem Autor durchgehen.
Die Reise der Agenten führt über Tunesien, Libyen nach Syrien - ein Land, was heute mit Kriegsgräuel und nicht mit Essenskultur, Geheimbünden und einem leckeren Aroma verbunden wird. Hatte Harms den Roman vor Ausbruch des Krieges verfasst, oder ist es ein Rückblick? Die idyllische Beschreibung von Aleppo wirkt zynisch, denn erschienen ist das Buch in diesem Jahr.
Rückblicke gibt es im Buch dann tatsächlich, sie führen in den Libanon, wo der mysteriöse Geschmacksstoff nicht nur zu gutem Sex führt, sondern makabrer Weise auch noch den Mord an Palästinensern an triggert.
"Es gab nicht einmal Straßenlaternen, eigentlich war es zu dunkel zum Kämpfen, aber da waren Männer und Scheinwerfer, die uns den Weg wiesen. Sie trugen seltsame Uniformen, solche hatte ich noch nie gesehen, auf einem Schulternäher glaubte ich einen Davidsstern zu sehen. Wir rückten weiter in das Viertel vor, dann gab mein Liebster uns das Zeichen. […] Wir schossen auf alles was sich bewegte. Es war nicht schwer. […]
Im Morgengrauen kochte er mir ein aufwendiges Menü, es war das beste, was ich in meinem Leben gegessen habe. Ich konnte nicht aufhören bevor ich alles, wirklich alles aufgegessen hatte. Dann schlief er mit mir, liebkoste mich, flüsterte mir Liebesschwüre ins Ohr, bevor wir in den Schlaf sanken.“ (S. 411)
Es ist geschmacklos. Viele Tote, die wir nicht näher kennenlernen, pflastern den Weg der Aromaagenten. Zurück bleiben irritierte Leser, die in der geschilderten islamischen Welt und dem Nahen Osten weder die heutige Zeit noch die Vergangenheit aus 1001 Nacht wiedererkennen. Da können die eigentlich originelle Grundidee und ein ausgeprägter Spannungsbogen nur wenig retten.
Ellen Norten - 7. Juni 2019 ID 11478
Link zum Krimi
Versuchung von Florian Harms
Post an Dr. Ellen Norten
Buchkritiken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeige:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
AUTORENLESUNGEN
BUCHKRITIKEN
DEBATTEN
ETYMOLOGISCHES von Professor Gutknecht
INTERVIEWS
KURZGESCHICHTEN- WETTBEWERB [Archiv]
LESEN IM URLAUB
PORTRÄTS Autoren, Bibliotheken, Verlage
UNSERE NEUE GESCHICHTE Reihe von Helga Fitzner
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|