Erfolg
und Tragik
|
|
Bewertung:
Das Buch schildert die Sicht des kleinen Bruders, der die bedeutende Schriftstellerin portraitiert. Die dreizehn Jahre ältere Ingeborg kümmert sich liebevoll um Heinz Bachmann. Ein lebendiges und offenes Familienleben schafft einen Rahmen, in dem Kreativität und Selbstständigkeit gedeihen können.
Davon profitiert Ingeborg, die schon während der Schulzeit zu Scheiben beginnt und deren Eltern ihr erlauben, die letzten anderthalb Kriegsjahre allein in Klagenfurt zu verbringen, um den Schullabschluss dort zu erreichen. Dafür zahlt Ingeborg ihren Preis, die Angriffe und permanenten Bedrohungen scheinen in ihrer Gefühlswelt Spuren hinterlassen zu haben, die vielleicht zur späteren Tablettensucht der Autorin geführt haben mögen.
Es waren konkrete Erfahrungen und Begegnungen, die die Literatur von Bachmann speisten, manchmal allerdings erst nach vielen Jahren. So zeigt uns Heinz Bachmann, dass und wo die Kriegserfahrungen des gemeinsamen Vaters in ihr Werk einflossen und zu einem fiktiven, deutlich negativ besetzten Protagonisten im Roman Malina führen.
Als Schriftstellerin legte Bachmann eine Bilderbuchkariere hin. Keines ihrer Werke wurde verrissen, sie bekam früh bedeutende Auszeichnungen, wie den Georg-Büchner Preis, und hatte als Erfolgsautorin keine Probleme ihre Werke zu veröffentlichen. Dennoch verfolgten sie fast zeitlebens finanzielle Probleme, denn ein Schriftsteller konnte vermutlich schon damals nur durch extrem hohe Verkaufszahlen von seinen Tantiemen bequem leben. Es waren allerdings nicht die finanziellen Probleme, die der Bachmann ihre psychischen Probleme bescherten, sondern die schwierigen Beziehungen zu Männern, die von Heinz Bachmann zwar angesprochen, aber mit Diskretion behandelt werden.
Ingeborg Bachmann, die wie ihre Schwester ausgesprochen attraktiv daher kam, mangelte es nicht an Verehrern. Sie nahm sich Freiheiten heraus, die für die damalige Zeit eher unüblich waren. So unterhielt sie eine mehrjährige Liebesbeziehung zu dem verheirateten Henry Kissinger und zog ohne Trauschein mit Max Frisch zusammen. Doch steht dieses Selbstbewusstsein im Widerspruch zu dem, was letztendlich wohl zur größten Liebesenttäuschung in ihrem Leben führte. Heinz Bachmann spricht in diesem sonst sehr persönlichen Buch nur von "Herrn Frisch", mit dem sich sowohl die gemeinsamen Eltern als auch er selbst siezten. Diese förmliche Art der Ansprache innerhalb einer Familie steht für starke Distanz und ist vermutlich für die Liebesbeziehung der beiden charakteristisch.
Die Ängste, die bei Ingeborg Bachmann mit der Zeit immer stärker wurden, "behandelten" dubiose Freunde mit Psychopharmaka in absurden Mengen. So schluckte sie in den letzten Lebenswochen wohl an die 100! benzodiazepinhaltige Tabletten pro Tag, was letztendlich zu ihrem tragischen Unfalltod führte, denn Ingeborg Bachmann spürte keine körperlichen Schmerzen, was die von ihr kaum bemerkten Verbrennungen erst ermöglichte. Sie - die Schriftstellerin, konnte in ihren letzten Lebenstagen nicht äußern, wie ihr geholfen werden konnte, von welchen Medikamenten sie abhängig war - verstummte und starb an ihren Verletzungen und den Symptomen ihrer Sucht. Dies steht im krassen Widerspruch zu den offenen und liebevollen Umgangsformen, die innerhalb der Familie herrschten.
"Unser Leben ohne Ingeborg wird bis heute von ihr und ihrem Schreiben stark beeinflusste. Ihr Schreiben verbindet uns auf immer. Sie ist präsent und spürbar in allen Handlungen und Entscheidungen, die wir beinahe täglich treffen müssen. Was bleibt sind so viele Erinnerungen und das Werk. Ihr Werk bewirkt, dass Ingeborg jeden Tag in unserem Leben gegenwärtig ist. Das ist das Schöne und Unglaubliche, jeden Tag von Neuem daran erinnert zu werden durch Übersetzungen, Kompositionen und Fragen, die aus vielen Ländern auf uns zu kommen. Fünfzig Jahre sind seit diesem Verlust vergangen, aber Ingeborg ist jeden Tag bei uns." (S. 126)
Heinz Bachmann verwaltet bis heute den Nachlass der großen Schriftstellerin. Mit dem vorliegenden Buch ist ihm ein hervorragendes Denkmal geglückt.
Ellen Norten - 5. Oktober 2023 ID 14420
Piper-Link zu
Ingeborg Bachmann, meine Schwester
Post an Dr. Ellen Norten
Buchkritiken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeige:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
AUTORENLESUNGEN
BUCHKRITIKEN
DEBATTEN
ETYMOLOGISCHES von Professor Gutknecht
INTERVIEWS
KURZGESCHICHTEN- WETTBEWERB [Archiv]
LESEN IM URLAUB
PORTRÄTS Autoren, Bibliotheken, Verlage
UNSERE NEUE GESCHICHTE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|