Mit didaktischem
Ansatz
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Bewertung:
"Ein typisches ostdeutsches Straßendorf. In der Mitte eine Kirche mit Dorfplatz. Bushaltestelle, Feuerwehr, Briefkasten. 284 Einwohner. Mit Dora 285." (Juli Zeh, Über Menschen)
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Dora arbeitet in Berlin als erfolgreiche Senior-Texterin in einer Werbeagentur. Sie hat einen Freund, der sich als Journalist und Aktivist mit Friday for Future radikalisiert hat. Der Kampf gegen das Coronavirus kommt ihm nun gerade recht. Wieder eine klare Freund-Feind-Perspektive. Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Robert wird immer verbissener, übergriffig versucht er Dora vorzuschreiben, was sie zu denken und wie sie zu leben hat. Dora bereitet allmählich ihren Rückzug vor und kauft ein altes Gutsverwalterhaus mit 4.000 Quadratmeter Garten im ländlichen Nirgendwo Brandenburgs.
Juli Zeh kommt von der brandenburgischen Provinz nicht los. Wie schon in Unterleuten beschreibt sie eine bizarre Nach-Wende-Wirklichkeit. Der neue Nachbar nennt Ausländer Kanacken, meint es aber nicht böse. Er hilft Dora im Garten, stellt ihr ungefragt ein neues Bett ins Haus und malert mit ihr das lange Zeit leerstehende Haus. Kann das denn ein schlechter Kerl sein, fragt sich Dora. Tom, ein paar Häuser weiter, verkauft Blumensträuße und Gestecke. Er ist schwul, Schauspieler und Kabarettist aus Berlin, er wählt aus Mangel an Alternativen die AfD. Juli Zehs Plot will zeigen, wie kompliziert eigentlich alles ist und dass man mit den schön gehegten Vorurteilen einer Großstadt in einer Existenzgemeinschaft wie Bracken nicht (über-)leben kann.
Ihr neuer Roman Über Menschen ist didaktisch und wirbt dafür, genauer hinzusehen, achtsamer zu werden. Man wird an das Zitat von Victor Hugo erinnert: „Es gibt keine schlechten Menschen, wie es auch keine schlechten Pflanzen gibt, es gibt nur schlechte Gärtner.” Allerdings bleibt die Frage zurück, wer sind die schlechten Gärtner? Wer ist verantwortlich, dass die alleinerziehende Sadie abends den Kindern das Essen hinstellt, bevor sie zur Nachtschicht fährt. Wer für den radikalisierten Robert, der nicht merkt, dass er durch die Dauerberieselung der Mainstreammedien nur noch Ausschnitte der Wirklichkeit wahrnimmt. Und last but not least: Wer ist für Gote, Doras Nachbar, verantwortlich, der nach der Rückübertragung des Besitzes seiner Eltern mit ihnen zusammen in ein Vakuum fällt, was durch das Feindbild "Ausländer" gefüllt wird. Fast zum Glück (muss man sagen) versucht der Roman diese Fragen nicht zu beantworten. Das muss und kann nur jeder für sich selbst tun. Wenn sich dadurch Brücken zwischen den aufgeregten Lagern unserer derzeitigen Wirklichkeit bauen lassen, hat der Roman seinen didaktischen Ansatz eingelöst. Man darf gespannt sein!
Steffen Kühn - 31. März 2021 ID 12845
Verlagslink zu
Über Menschen von Juli Zeh
Post an Steffen Kühn
http://www.hofklang.de
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