Identitätenchaos
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Bewertung:
Eines muss vorweggesagt werden, der Titel des Buches Akte Wendland hat nichts mit der Endlagerung von Atommüll und den Protesten dagegen zu tun. Das Wendland liegt an der ehemaligen Grenze zur DDR. Tragisch endet für Michael Müller die Nacht der Maueröffnung. Allein am Steuer und alkoholisiert verursacht er einen Unfall, sein Trabi fängt Feuer, und er verbrennt bis zur Unkenntlichkeit. Es bestehen keine Zweifel am Unfallhergang, und das wird in den nächsten Jahrzehnten auch so bleiben. Hier beginnt der Kriminalroman von Klaas Kroon, der 33 Jahre später mit zwei Morden endet. Die Frage ist, gibt es einen Zusammenhang?
Als im Wald bei Gartow eine Tote entdeckt wird, handelt es sich eindeutig um Mord. Das Opfer wurde mit einem Ladekabel erdrosselt. Schnell ist die Identität der Leiche geklärt, es ist die Journalistin Martina Breesen aus Salzwedel, die eine Beziehung zu Michael Müller hatte. Er ist auch der Vater ihres schwerbehinderten Sohnes Dirk.
Nur langsam kommt die Ermittlung in Gang. Wir lernen die Polizeihauptmeisterin Sabine Langkafel kennen, ihren in sie verliebten Kollegen Attila Yilmaz, ihre Kollegin Melanie Gierke von der Kripo Lüneburg und den fast schon zu charmanten Thorsten Gabel, der seine Rolle beim Verfassungsschutz geheimnisvoll inszeniert. Zwar sind die Figuren detailliert gezeichnet, doch verliert sich der Autor hier in Nebensächlichkeiten, die die eigentliche Handlung nicht weiterbringen.
Interessant sind die Protokolle eines ehemaligen RAF-Terroristen, die hier eingeblendet werden. Zwar „nur“ eine Randfigur der Terroristen, wird der in Ich-Form schreibende Kriminelle auf Plakaten wegen Fingerabdrücken auf einer Mordwaffe steckbrieflich gesucht. Hier liefert der Autor interessante Einblicke in die dritte Generation der RAF, die es als einen festgefügten Zusammenhalt unter Umständen so nie gegeben hat.
In den Protokollen taucht ein mysteriöser Verbindungsmann BH (sprich Bernhard Heine) auf, dessen Identität genau wie die des Verfassers der Protokolle ungeklärt bleibt. Sabine Langkafel sucht Rat bei dem ehemaligen Verfassungsschützer Stephan Schütze, einem Bekannten ihres Vaters.
„Sie müssen sich vorstellen, dass der Verfassungsschutz im Bund und in den Ländern nicht organisiert ist wie ein Finanzamt mit Referaten, Abteilungsleitern und Protokollen. Es gibt Abteilungen und Einheiten, die nirgendwo dokumentiert sind. Das System der V-Leute ist sehr umstritten. Da arbeitet die Behörde intensiv mit Menschen zusammen, die tief drinstecken in der rechten oder auch linken Szene und häufig selbst kriminell sind. Die bekommen viel Geld für ihre oft nicht wirklich sehr zielführende Arbeit. Gehen Sie davon aus, dass Ihr Herr Heine Teil dieses Systems war und vielleicht bis heute ist. Solange die Leute liefern, sind sie im Geschäft, oft viele Jahre.“ (S. 305)
Wer Verbindungen zur Stasi, Verfassungsschutz und RAF hatte, war oder ist ein Dreifachagent und heute entweder tot oder Beamter, ergänzt Schütze seine Ausführungen.
Durch diese Parallelhandlung gewinnt der Roman deutlich an Fahrt, insbesondere als beide Handlungsstränge zusammenlaufen und das Mordmotiv an der Journalistin Martina Breesen offensichtlich wird. Ein über weite Teile zwar spannender Roman, dessen Figuren jedoch zu viel Lesezeit beanspruchen und so die Gesamthandlung schwächen.
Ellen Norten - 29. Oktober 2024 ID 14991
Gmeiner-Link zur
Akte Wendland
Post an Dr. Ellen Norten
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