Eine neue
alte Bekannte
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Lena Rothstein hat sich in Österreich einen Namen gemacht, zunächst zusammen mit ihrem damaligen Mann Arminio Rothstein als Puppenspielerin, dann als Diseuse und schließlich, zusammen mit ihrem jetzigen Mann Tony Scholl, auf dem Gebiet, das man gemeinhin Kleinkunst nennt. Jetzt hat sie unter dem Titel Angekommen – eine Heimkehr in einem kleinen Verlag und in schöner Ausstattung ihre Autobiographie vorgelegt.
Geboren wurde sie 1943 als Lena Schwarz im britischen Exil ihrer Eltern, die ihre Heimat mit den sogenannten „Kindertransporten“ gerade noch rechtzeitig verlassen konnten. Zu den Prominenten, die auf diese Weise vor dem sicheren Tod gerettet wurden, gehörte unter anderem Erich Fried. 1946 kehrte die Familie nach Österreich zurück.
Lena Rothstein schreibt in einer gut lesbaren, der mündlichen Erzählung angenäherten Sprache, fast als fielen ihr die Formulierungen erst während des Schreibens ein. Vorübergehend wechselt sie vom Präteritum ins Präsens. Was sie zu berichten hat, kommt angenehm uneitel daher. Auch wenn es sehr persönlich wird, erweckt es nie den Eindruck, als würde sich die Autorin zu wichtig nehmen. Sie spricht davon, wie es war und weil es so war, und durchsetzt die Fakten mit nachgeschobenen Überlegungen von allgemeiner Gültigkeit. Dabei kommt ihr das erstaunliche Gedächtnis für Details zu Hilfe, das durch aufgefundene Notizen, Aufzeichnungen und Briefe unterstützt wird.
Einen roten Faden bildet das zunehmende Bewusstsein für die eigene jüdische Identität, das sie mit mehreren Altersgenossen aus ihrem Milieu teilt. Es schuldet sich maßgeblich dem nach 1945 und bis in die Gegenwart anhaltenden Antisemitismus in Österreich, provoziert aber unterschiedliche Reaktionen. Die Beschäftigung mit dem Judentum ist insofern nicht selbstverständlich, als der Vater im Exil zu den Kommunisten gestoßen war, für die das Jüdische kein zentrales Thema war. Die Mutter allerdings wollte ihrem Mann, der nach der Rückkehr in die Heimat die Arbeit für die KPÖ zum Beruf machte, nicht folgen, und es kam zur Scheidung. Lena wuchs dann bei der Mutter auf.
Ein kurzes Kapitel über die Beteiligung an Dreharbeiten zu der amerikanischen Fernsehserie Holocaust: Die Geschichte der Familie Weiß erinnert an Thomas Braschs Film Der Passagier – Welcome to Germany und an eine entsprechende Passage in dem vier Jahre später entstandenen Roman Gebürtig von Robert Schindel. Wie sagt Woody Allen: "Das Leben ahmt keine Kunst nach, es ahmt schlechtes Fernsehen nach."
Die Erinnerungen an Arminio Rothstein sind zugleich ein Porträt der Bohème und ihrer „Szene“ in den sechziger Jahren. Sie verkehrte vorzugsweise im Café Hawelka (so auch, übrigens, Lena Rothsteins heutiger Mann Tony Scholl). Daran schließt ein über Lena Rothsteins eigene Erfahrungen hinaus weisendes ausführlicheres Bild der (Klein)Theaterszene in den siebziger Jahren an.
Es folgen in den weiteren Jahren Reisen, neue Bekanntschaften und, entscheidend für die eigene Arbeit, die Entdeckung der jüdischen Kultur, namentlich des jüdischen Liedes, zu dessen hervorragender Interpretin sich Lena Rothstein entwickelt.
Wahrscheinlich kennen nicht allzu viele Leser*innen dieser Rezension Lena Rothstein. Nach der Lektüre ihrer Autobiographie werden sie das Gefühl haben, sie immer schon gekannt zu haben.
Thomas Rothschild – 21. Mai 2023 ID 14208
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Angekommen - eine Heimkehr von Lena Rothstein
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