Künstlerin
statt Muse
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Bewertung:
Wenn Frauen in einem Kunstmuseum vertreten sind, so trifft dies in der Regel auf die Kunstobjekte selbst zu. Halb - oder ganz nackt posieren u.a. die Musen bedeutender Maler auf der Leinwand oder als Objekt in Stein gemeißelt. Frauen haben Künstler von jeher inspiriert, doch sie selbst sind in der Kunstszene kaum vertreten, die Literatur mag hier eine Ausnahme sein. So ist das Buch um Leonora Carrington nicht nur ein interessanter Ausschnitt aus der Biografie einer außergewöhnlichen Künstlerin, sondern auch ein Appel für die Gleichberechtigung von Frau und Mann in der Kunst.
"Leonora denkt an die Männer, Dalí, Miró, Picasso, und an die enormen Summen, die ihre Gemälde noch vor ihrem Tod erzielt haben. Sie denkt daran, mit welcher Genügsamkeit sie selbst ihr Leben gelebt, sich von Bohnen, Reis und den billigsten Stücken Fleisch ernährt hat. Sie gluckst, hustet und holt tief Luft. Es hat keinen Zweck verbittert zu sein. „Weibliche Kunst wird für einem Bruchteil dessen verkauft, was männliche Kunstwerke erzielen, und Frauen brauchen zweimal so lang, um sich einen Namen zu machen. Ich bin eine der Glücklichen. Ich bin alt. Ich hab lang genug gelebt, um noch mitzubekommen, dass die Welt wenigstens beginnt, uns wahrzunehmen – als Künstlerinnen, meine ich, nicht als Inspiration für Kunst, diese fürchterliche Vorstellung einer Muse.“
Das [s.o.] lässt Michaela Carter ihre Protagonistin auf der Ausstellungseröffnung in der Brewster Arts Gallery in Ney York 1997 sagen.
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Carrington hat eine bemerkenswerte Biografie. Als höhere Tochter eines Großindustriellen in England geboren, ermöglicht der seiner Tochter zwar ein Kunststudium, will sie aber gleichzeitig in eine repräsentative Rolle als Ehefrau und Mutter zwingen. Carrington entflieht den Traditionen und landet bei Max Ernst und einer Gruppe von Surrealisten, die gängige Lebensformen auf den Kopf stellen. Es macht Spaß dem Treiben von Dali, Gala, Breton, Man Ray oder Miró etc. zu folgen, sogar auf mich als Leserin springt der kreative Funke über. Doch die ungetrübte Zeit ist schnell vorbei. Der Zweite Weltkrieg, die Verfolgungen durch die Nazis für in Frankreich lebende Ausländer bedroht das Paar, Max Ernst wird inhaftiert, Leonora Carrington scheint die Bedrohung allein psychisch nicht zu verkraften.
Leider folgt das Buch über weite Strecken der Liebesgeschichte zwischen Ernst und ihr. Ob sie seine große Liebe war und warum sie sich schließlich von ihm abkehrt, wird hingegen nicht deutlich. Die Macht ihres Vaters, der sie wieder unter seine Kontrolle bekommen will und eine Portion an Verrücktheit, die Carrington zwischenzeitlich in eine Nervenheilanstalt zwingt, mögen hier eine Rolle gespielt haben. Beide heirateten nach ihrer Liebesbeziehung zweimal, und die vorangegangene zum Teil fast kitschig anmutende Liebesgeschichte könnte aus der Feder der Autorin auch arg geschönt sein.
Nun, wir waren nicht dabei, und ein Roman über real existierende Personen ermöglicht auch eine dichterische Freiheit. Entscheidend scheint mir die gegenseitige Inspiration, die Beide füreinander bedeuteten. Der Prozess des Malens, des Kreierens und die abstrakten und mythischen Themen, die hier eine wichtige Rolle spielen, werden auf nachvollziehbare Art und Weise dem Leser nahegebracht. So enthält das Buch nicht nur interessante, sondern auch bereichernde Elemente.
Gründe genug, sich den Roman vorzunehmen und in die Zeit des Surrealismus einzutauchen. Leider präsentiert das Buch keinerlei Fotografien noch Kunstwerke, was vermutlich der Urheberrechtsfrage geschuldet ist. Unpassend erscheint mir indes das Titelbild, das verschiedene Menschen vor einem Gewässer mit Segelboten zeigt. Im Mittelpunkt eine Frau, bei der es sich eindeutig nicht um die Protagonistin handelt und das in seiner Komposition erklärungsbedürftig ist.
Ellen Norten - 7. September 2020 ID 12442
Verlagslink zur
Surrealistin
Post an Dr. Ellen Norten
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