Pflegekinder
im Visier
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Da lebt in den 1970er Jahren eine eigentlich reiche Fabrikantenfamilie in einer Villa im Taunus. Doch der Wohlstand reicht ihnen nicht. Deshalb möchten sie sich ihre Einnahmen noch ein bisschen aufbessern, und was läge da näher als ganz altruistisch eine Schar von Pflegekindern aufzunehmen. Die Gelder fließen vom Sozialamt, deren persönliche Kontrollen sind lax, und ein bisschen Sadismus seitens der Pflegemutter lässt sich an den wehrlosen Schutzbefohlenen auch noch ausleben. So werden von ihr Kinder in Kühltruhen eingesperrt, mit Folie umwickelt ins Wasser getaucht oder im Brunnenschacht tagelang eingezwängt. Das Jugendamt schaut weg, und die Kinder nehmen ihren Schaden, körperlich wie seelisch. Trotzdem feiern sie mit ihrer Pflegemutter jedes Jahr den Muttertag, bis diese an ihrem Jubeltag spurlos verschwindet, angeblich weil sie sich umgebracht hat. Soweit die traurige Vergangenheit.
Als fast vierzig Jahre später die Taten eines Serienmörders entdeckt werden, der über Jahrzehnte seine Opfer in Folie eingewickelt und ertränkt hat und einige dieser Opfer auch noch auf dem Gelände der Villa der Pflegeeltern vergraben sind, werden Parallelen offensichtlich und der Pflegevater nebst einem Kreis von Pflegekindern gerät unter Verdacht. Der Kreis der Verdächtigen bleibt überschaubar, doch dies gilt nicht für die Opfer – Frauen die anscheinend willkürlich ausgewählt und langsam und ohne sexuelle Motive zu Tode gequält wurden.
"Wer waren die drei Frauen, deren sterbliche Überreste sie heute gefunden hatten? Wo kamen sie her? Welche unheilvollen Fügungen hatten dazu geführt, dass sie sterben mussten und unter einem Hundezwinger auf einem Grundstück in Mammolshain vergraben worden waren? Und was für ein Mensch war Theodor Reifenrath, Opa Theo, der mit dem elfjährigen Nachbarmädchen Limo gebraut und im Garten gearbeitet hatte, wirklich gewesen? Zwar waren Serienmörder in Romanen, Filmen und amerikanischen CSI-Serien immer wieder beliebte Figuren, in der Realität gab es sie jedoch eher selten." (Nele Neuhaus, Muttertag, S. 86)
Eine mühsame Ermittlungsarbeit für die Kommissarin Pia Sander und ihre Kollegen beginnt. Doch was wäre ein guter Krimi, wenn es nicht auch die sattsam bekannten privaten Verflechtungen zwischen der Kommissarin und den am Kriminalfall beteiligten Personen gäbe. So ist eines der Opfer ihre Nichte, ein anderes sogar ihre Schwester, die zudem noch ein lesbisches Verhältnis zu ihrer Vorgesetzten unterhält. Hier werden die Verquickungen unglaubwürdig und wirken konstruiert. Schade, das hätte die Autorin nicht nötig gehabt, denn ihre Recherchen zu den bedrückenden Lebensumständen von Pflegekindern im vergangenen Jahrhundert und die ausgefuchst dargestellte Tiefenpsychologie, die der Profiler an den Tag legt, sind überzeugend zu lesen. Wer also die persönlichen Verquickungen der Kommissarin bei Seite lässt oder diese als Kuriosum akzeptiert, liest einen Kriminalroman, der bis zur letzten Seite spannend bleibt.
Ellen Norten - 12. März 2019 ID 11274
Link zum Krimi
Muttertag von Nele Neuhaus
Post an Dr. Ellen Norten
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