Spitzes Ohr
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Bewertung:
Was gibt es über den BER, besser gesagt die Baustelle des neuen Berliner Flughafens zu berichten, was noch nicht von den Medien breitgetreten wurde? Leider jede Menge, denn die Informationen streifen meist nur die Oberfläche. Doch darunter, tief unten – konkret, wie im übertragenen Sinn – brodelt es. Wer dahin abtaucht, kann so Einiges in Erfahrung bringen, über schmutzige Dinge, Korruption, Schmierereien und noch Schlimmeres. So geht es dem Ermittler Adrian Schmith. Er hat ein feines Öhrchen, er horcht und lauscht, nimmt Töne und Geräusche wahr, wo andere sonst nichts hören und zieht daraus seine Schlüsse.
Eigentlich arbeitet Schmith seit Jahren als Hörfunkjournalist, doch die Sender sparen, die Aufträge werden knapper, und so nutzt er seine besonderen Fähigkeiten für seine Ermittlungen, die ihm helfen sollen, finanziell über Wasser zu bleiben. Aber es sind nicht nur die Fälle, die von ihm unter die „akustische Lupe“ genommen werden. Auch Regina Lobeck, die ach so attraktive wie undurchsichtige Auftraggeberin, wird quasi abgehorcht. Fazit: Ihre Zwischentöne stimmen nicht.
"Dann laufen ihr Tränen über das Gesicht, eine glänzende Spur vom Kajalstift entsteht, die zu ihrer Not führt.
Ich sehe hin, fühle mit ihr, doch plötzlich denke ich: Die Zeichnung in ihrem Gesicht ist nicht echt, kein Original, etwas stimmt hier mit den Tönen nicht. Da ist kein ersticktes inneres Heulen, wie ich das von verzweifelten Auftraggeberinnen kenne, keine echte Not, die im Schluchzen, in der Enge einer nicht freien Atmung zu hören ist. Was ich höre, ist das, was man von einer Situation wie dieser zu erwarten hat: Angst, die man riecht, Ohnmacht, die sich in kurzen, tonlosen Pausen ausdrückt, das Gefühl von Ausgeliefertsein, von Wehrlosigkeit, die sich im leichten Vorschieben von Regina Lobecks Schultern, dem Rascheln der Bluse darstellt.
Aber alles ist eher still, verhalten, wie geübt."
(Peter Kaiser, Tief unten. Tief im Flughafen. Tief im BER., S. 27)
Dabei ist Regina Lobeck gerade ihr Mann abhandengekommen. Ihn, den Israeli Itay Teichmann gilt es zu suchen, und die Suche führt - wir haben es erwartet - in die Tiefen des BER. Schmith durchstößt die dünne Haut, die die alltägliche Korruption von den lebensgefährlichen Verbrechen auf der Großbaustelle trennt. Schnell wird klar, dass Regina Lobeck ein Doppelleben führt, und Addi gerät zwischen die Fronten. Welche Rolle spielen die Koreaner, von denen ihn manche bedrohen, während andere ihm wiederum helfen, und woher stammen sie überhaupt?
Spannend und ungewöhnlich gerät die Suche nach Itay, die über den jüdischen Sportclub TuS Makkabi bis nach Tel Aviv führt. Addi läßt uns dabei nicht nur tief in seine Karten gucken, sondern er gewährt uns auch Einblick in persönliche Sentimentalitäten, wenn etwa die geheimnisvolle Regina Lobeck ausgerechnet das gleiche Parfüm benutzt, wie seine Exfrau.
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Ein spannender Krimi, mit aktuellem Bezug, viel Witz, Originalität und einem ungewöhnlichen Schreibstil. Es bleibt zu hoffen, dass der Ermittler uns auch zukünftig in sein Büro in der ehemaligen Berliner Schokoladenfabrik einlädt und uns an seiner Arbeit mit spitzen Ohren teilhaben lässt.
Ellen Norten - 23. Juli 2018 ID 10814
Link zum Buch:
http://www.kuuuk.com/9783962900038.htm
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