Die bunte
Vielfalt des
Lebens
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Bewertung:
Wie bin ich nur an dieses Buch geraten? Habe ich es bestellt, wollte ich es bestellen, hat mich das Thema überhaupt interessiert, oder war es mir nicht doch zu esoterisch? Und dann der Einband - Hardcover, fast wie mit der Zentangle-Technik handbemalt, mit bunten Kringeln und Schleifen, das hätte ich auch gekonnt. Ungewöhnlich, doch irgendwie ansprechend, dazu der quietschgelbe Bücherrücken mit dazu passendem Lesebändchen. Fast wie ein Kinderbuch, kurios: Genau dieses Gelb war meine Lieblingsfarbe - zu Kinderzeiten. Aber bestellt hatte ich das Buch doch nicht, oder?
Ich schlage das Buch auf, nur zum Spaß, und hänge prompt an den Worten fest: Prof. Chandra wartet im britischen Cambridge auf den Nobelpreis – in Wirtschaftswissenschaften! Das hat nichts mit Esoterik zu tun! Vielleicht doch, denn Wirtschaftsprognosen funktionieren für mich aus dem Bauch heraus. Das Buch liest sich jedenfalls ausgesprochen unterhaltsam. Der Protagonist ist mir sympathisch, ein Looser auf hohem Niveau, eingebildet, selbstgefällig und einsam.
Mit Selbstfindung hat das nichts zu tun, keine Mythologie, nur die chaotischen Lebensverhältnisse eines Mannes, dessen Frau ihn verlassen hat und der versucht, sein Leben auf die Reihe zu bringen. Der versucht seine drei Kinder zu lieben und zu akzeptieren, auch wenn es ihm schwerfällt. Da ist seine älteste Tochter Radha, die ihn aus politischen Gründen ablehnt; da ist sein Sohn Sunny, der ihn sowohl finanziell als auch im beruflichen Erfolg überrunden will, und da ist seine jüngste Tochter Jasmine, die mit 14 Jahren erste Rauschgifterfahrung sammelt. Letztere lebt bei Chandras geschiedener Frau Jean und ihrem neuen Mann Steve, ein ausgesprochen verständnisvoller Psychiater, der für alles eine Lösung hat:
„'Sobald man sagt, etwas sei nicht gerecht oder nicht fair, ist man eigentlich gewalttätig. Früher habe ich das nicht verstanden, aber dann habe ich einen Kurs in GFK gemacht. Kennst Du GFK?'
Chandra schüttelte den Kopf.
'Gewaltfreie Kommunikation. Hat ein Typ namens Marshall Rosenberg entwickelt, der findet, wir sollten unsere Gefühle und Bedürfnisse achtsamer reflektieren. Wenn ich sage ‘Du gibst mir das Gefühl…’ oder: ‘wegen dir et cetera pp…’, wird es immer Konflikte geben, das kann dir jeder Therapeut sagen. GFK hat Methoden entwickelt, mit denen man sein Verhalten von Grund auf ändern kann.'" (S. 70)
Zum Beispiel zuschlagen, sehr erfrischend nach diesem Konfliktmanagement: Chandra gibt seinem Rivalen einfach eins auf die Nase. Der steckt zwar die Prügel devot ein, zieht dann jedoch strategisch seinen Vorteil daraus. Er meldet Chandra zu einem Psycho-Workshop im kalifornischen Esalen-Institut an, andernfalls würde die Familie von Chandra von dem Gewaltakt erfahren.
Wir begleiten Chandra nach Esalen. Trotz seiner indischen Herkunft steht er den spirituellen Umgangsformen vor Ort völlig unvorbereitet gegenüber. Die folgenden Gespräche und daraus resultierenden Kontakte sind unterhaltsam und regen bestenfalls zum Nachdenken an. Es gibt keine vorgefertigte Meinung, weder im Seminar noch später. Wertfrei ziehen die Tage vorbei und führen zu weiteren Gesprächen zwischen Chandra, seinen Kindern und seiner geschiedenen Frau. Das ist eigentlich alles, denn es passiert in diesem Buch nicht wirklich viel. So verstreicht ein Jahr im „Hier und Jetzt“, Chandra kriegt wieder keinen Nobelpreis, noch ändert er sein Leben. Seine Frau ist und bleibt bei ihrem Psychiater, die Kinder leben ihr Leben.
*
Wie bin ich an dieses eigenartige Buch geraten? Eigentlich hat es mich überhaupt nicht interessiert, und doch hat es mich von der ersten bis zur letzten Zeile in seinen Bann gezogen. Ein besonderes Buch, eine besondere Erfahrung, vorurteilsfrei egal welche Haltung man zur Psychologie, Esoterik oder - Wirtschaftswissenschaft hegt.
Ellen Norten - 16. April 2019 ID 11354
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