Die Angst
vor der Seuche
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Robert Koch, der Name des großen Mediziners, ist uns im Moment eher durch das gleichnamige Institut geläufig als durch den Forscher selbst. Der wirkte vor gut 100 Jahren, doch sein Thema ist heute brandaktuell. Robert Koch, der Name steht für Seuchenbekämpfung, die Entdeckung des Tuberkuloseerregers und die lückenlose Aufklärung der krankheitsverursachenden Wirkung der Milzbrandbazillen. Koch erhielt den Nobelpreis, doch neben den großen Erfolgen beging er auch Fehler, folgte Irrtümern und setzte seine Forschung an infizierten Personen ungeachtet derer Menschenwürde um.
Michael Lichtwarck-Aschoff, selbst Mediziner, hat sich der Lichtgestalt kritisch genähert. In drei großen Kapiteln präsentiert er Koch als Hygieniker in Westafrika, als Greis in New York konfrontiert mit den Früchten seiner Forschung und zu Beginn als Lehrer und Privatmann.
"'Junger Mann, Sie tauschen Bequemlichkeit und Beständigkeit gegen ewige Unruhe. Haben Sie eine Ahnung, wie schwer das Neue es hat? Nicht nur da draußen, wo die Herde grast, die am liebsten an jedem Tag auf dieselbe Weide rennt, sondern…', der Professor klopfte sich auf die Brust, 'hier drinnen, auch und vor allem im eigenen Herzen. Man fürchtet das Neue selbst ja am meisten, man ernährt sich praktisch vom Zweifel, und ich kann ihnen sagen: Man lebt dabei nicht angenehm.'" äußert Koch gegenüber seinem neuen Mitarbeiter Walther Hesse. (Robert Kochs Affe, S. 14)
Damit bringt Koch das Dilemma, in dem ein Forscher steckt, auf den Punkt. Und schon hier wird die Parallele zur heutigen Coronakrise deutlich; über einen neuen Erreger hat auch der beste Forscher zunächst kaum Wissen.
Ebenso im zweiten Kapitel, wo es um Strategien des Hygienikers gegen Seuchen geht, werden weitere Ähnlichkeiten offensichtlich.
"'Äußere Kontrolle wiederum beginnt mit den beiden großen Anfangsbuchstaben der Bakteriologie: Aufklärung und Angst. Angst muss systematisch von oben nach unten durchgereicht werden. Also: Schaffen Sie Hierarchie! (…) Bakteriologie, Herr Kollege, ist schärfste Sozialpolitik ohne Rücksicht auf Soziales. Sie muss den Fabrikanten oder den Häuptling genauso empfindlich treffen, wie den Arbeiter, den Tagelöhner, den niedrigsten Wilden.'" (S. 125)
1906 befinden wir uns in der tiefsten Kolonialzeit. Dementsprechend gestaltet sich die Haltung Kochs gegenüber den Eingeborenen am Victoria-See. Er bereitet mit seiner Seuchenmedizin den Boden für die Kolonialisierung der Region durch die Deutschen vor. Ihm geht es um die Schlafkrankheit, die durch die Tse-Tse-Fliege übertragen wird. Er will möglicherweise Infizierte und Erkrankte von „innen und außen“ reinigen. Das Leid der dort lebenden Menschen interessiert ihn dabei nicht, und der zeitgleich stattfindende Maji-Maji-Aufstand, bei dem Schätzungen zu Folge bis zu 300.000 Einheimische ums Leben kommen, geht scheinbar völlig an ihm vorbei.
Das Leben in den Tropen lässt Koch vorzeitig altern. Er ist inzwischen mit der knapp dreißig Jahre jüngeren Tänzerin Hedwig Freiberg verheiratet, die ihn auf seinen Reisen begleitet. 1908 besucht er die USA, wo der Typhus seine Opfer sucht.
"Damals starben in New York Woche für Woche viertausendfünfhundert Menschen, darunter eintausendfünfhundert Säuglinge. An Durchfall. Wir protokollierten die Zahlen. Wir erklärten den Menschen, dass sie ihr Leben ändern müssten. Wir sahen zu. Wir rangen die Hände." (S. 220)
Damit werden Zwangsunterbringungen von gesunden Trägern, also Menschen, die einen Krankheitserreger beherbergen ohne zu erkranken und dabei hoch ansteckend sein können, gerechtfertigt. Prominentes Beispiel ist Typhoid Mary, eine irische Einwanderin, die als Typhusüberträgerin 27 (!) Jahre eingesperrt in einem New Yorker Hospital verbringt. Die wollte der greise Koch noch kennenlernen. Interessenten an Typhoid Mary gab es zugenüge, geholfen hat der prominenten Insassin jedoch niemand. Rigide Schutzmaßnahmen gepaart mit medizinischer Hilflosigkeit waren nicht nur für die damalige Zeit typisch.
Und noch eines zeigt das Buch. Auch der beste Forscher ist nur ein Mensch, er kann Fehler machen, und fast zwingend wird seine Forschung früher oder später von neuen Erkenntnissen, die mit modernen Methoden und Techniken erworben werden, überholt. Auch dies sollten die Experten bedenken, die derzeit unsere Regierungsgeschäfte beeinflussen.
Und der Affe von Robert Koch, der dem Buch seinen Namen verleiht? Das possierliche Haustier diente dem Vergnügen seiner Frau, bis es dann doch als Versuchstier endet - Tierschutz einmal klein geschrieben.
Ellen Norten - 25. Mai 2021 ID 12932
Hirzel-Link zu
Robert Kochs Affe
Post an Dr. Ellen Norten
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