Zur Vollendung
der Ross Thomas-
Edition im
Alexander Verlag
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Bewertung:
Wer sich einen schnellen Erfolg erhofft, schreibt einen Kriminalroman. Die Liste der wirklich bedeutenden Exemplare der Gattung allerdings ist kurz und der Kanon der zu Recht etablierten Autoren und Werke überschaubar.
Doch auch da gibt es Abstufungen. Einer, der von einigen der qualifiziertesten Kenner des Genres hochgepriesenen, von vielen aber nicht einmal dem Namen nach bekannten Autoren ist der Amerikaner Ross Thomas, der 1926 geboren wurde und 1995, keine siebzig Jahre alt, an Lungenkrebs gestorben ist. Die Bücher des fleißigen Schriftstellers sind in deutscher Übersetzung als gelbe Ullstein Taschenbücher erschienen, stark gekürzt und verunstaltet, ein Höhepunkt der deutschen Verlagsskandalgeschichte. Der Berliner Alexander Verlag, eigentlich auf Theaterliteratur spezialisiert, hat sich heldenmütig die Aufgabe gestellt, das Werk von Ross Thomas, der auch unter dem Pseudonym Oliver Bleeck veröffentlicht hat, in der vom Haffmans Verlag in Angriff genommenen und alsbald suspendierten Neuübersetzung von Gisbert Haefs zugänglich zu machen. Jetzt wurde die Edition mit dem 25. Band Stimmenfang abgeschlossen.
Das Verbrechen der schlampigen Übersetzung von Ullstein ist nicht belanglos bei einem Krimi-Autor, der als einer der wenigen in seinem Fach ein Sprachvirtuose ist. Zu den besonderen Vergnügen bei Ross Thomas gehören seine schnoddrigen Dialoge, das wise cracking, schnell und witzig wie beim großen Vorbild Chandler. Ross Thomas war spezialisiert auf den Politkrimi, und er gab der Literatur, was der Literatur ist, und der Wahrheit, was der Wahrheit ist. Mit anderen Worten: seine Figuren, die immer wieder in neuen Romanen, oft paar- oder sogar gruppenweise, auftauchten, sind absolute Kunstfiguren, seine Konstruktionen sind so unwahrscheinlich, wie sie in einem guten Krimi sein müssen, aber die größeren Zusammenhänge, die in seinen Romanen transparent werden, sind zutiefst wahrhaftig und werden es mit einem Gangster wie Donald Trump immer mehr. Thomas, der die Welt kannte und das genaue, Authentizität vortäuschende Detail liebte, vom Muster der Krawatte bis zur exakten Lage eines Hotels oder der Minute bei Zeitangaben, zeichnete ein Universum der großen Politik, in der Korruption und Mord, Agententum und Skrupellosigkeit herrschen. Die internationale politische Wirklichkeit holte häufig erst nach, was er in seinen Romanen bereits geschildert hatte. Wenn Ross Thomas oft eher dem Zynismus als der Ironie zuneigt, so entspricht das der Haltung eines liberalen Romantikers, der sich verletzt fühlt durch die (politische) Realität, ein gesellschaftliches Gegenmodell aber – darin war Thomas ganz US-Amerikaner – nicht denken mag. Zugleich ermöglicht Thomas der zynische Blick vielerlei Spielarten witziger Perspektiven und Formulierungen.
Genregemäß wimmelt es bei Ross Thomas von Machos, selbstbewussten Frauen und wüsten Gestalten, denen man nachts auf der Straße lieber nicht begegnen möchte. Dafür trifft man mit Vergnügen auf die Techniken, die zu Ross Thomas gehören wie die Wiederholung zu Thomas Bernhard: dass einer grausliche Sachen macht, ehe man erfährt, wer er ist; dass übers Leuteumbringen geredet wird wie über die Eröffnung eines Bankkontos; dass ein Dialog aus Andeutungen besteht und das, worauf es ankommt, bis zuletzt hinausgezögert wird. Auch die aus heutiger Sicht auffälligen Schwächen von Ross Thomas gehören dazu: dass selbst manche Episodenfigur den gleichen Schnodderwitz hat wie die Helden; dass es im Sex nur Virtuosen gibt – jedenfalls nach Aussage der beteiligten Partner. Wer auf Wokeness pocht, wird Einwände haben. Deren Nichtbeachtung wird mit echtem Nervenkitzel belohnt, der eigentlich eher zum Krimi gehört als der Entwurf eines naturalistischen Weltbilds inklusive magenkrankem Kommissar. Sjöwall und Wahlöö und die Entwicklung, die sie zur Freude von Autor*innen und Leser*innen, denen Adalbert Stifter insgeheim näher steht als Dashiel Hammett, im Kriminalroman eingeleitet haben, mögen näher an den psychologischen Details des Alltags liegen. Spannender ist Ross Thomas allemal, ohne deshalb die prinzipielle (politische) Wahrheit zu unterschlagen.
Bei all dem Lob müssen wir doch einen Tropfen Wasser in den Wein gießen. Es war Ross Thomas, der im Auftrag der Produzenten das Drehbuch zu Hammett von Wim Wenders verschandelt hat.
Thomas Rothschild – 21. April 2025 ID 15235
Verlagslink zu
Stimmenfang von Ross Thomas
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