Hippies in
Amsterdam
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Bewertung:
Wer es in den 1970er Jahren nicht bis Katmandu oder San Francisco schaffte, der konnte immerhin in Amsterdam in die Hippie-Szene eintauchen. Die Flower-Power Bewegung war dort tief verwurzelt. Im Vondelpark und am Dam, nahe dem Königspalast, wurden Joints geraucht, wurde Bier getrunken und farbenprächtige Kleidung getragen. Vieles vom bunten Outfit war Secondhand und auf dem berühmten Flohmarkt nicht weit entfernt erstanden worden.
Damit sind wir beim Thema des Buches. Koko, die junge Protagonistin interessiert sich für Mode – gebrauchte Mode – , Kleidung aus den 1940er und 1950er Jahren, Kleidung, die besser verarbeitet ist als die heutige meist aus Asien stammende Billigware, und Kleidung, die Gebrauchsspuren trägt und die (vielleicht) eine Geschichte über ihre vorangegangenen Trägerinnen oder Träger erzählt.
"Die Sucht nach Neuem ist vielleicht die schlimmste Krankheit unserer Zeit. Die Menschen lassen sich einreden, dass sie ständig irgendwelchen Krempel brauchen, nur damit eine völlig überdrehte Wirtschaft am Laufen gehalten wird. Ich mache da nicht mit. Im Gegenteil, ich habe das Recyceln sogar zu meinem Beruf gemacht. Mit meiner Ware habe ich ein Signal gegen die Verschwendung in der Mode gesetzt, und wie ich beweisen konnte, schließt das Glamour nicht aus." (Saskia Goldschmidt, Die Vintage Queen, S. 17)
So [s.o.] lässt die Autorin ihre Ich-Erzählerin sagen und macht das Buch fast zu einer Biografie. Tatsächlich orientiert sie sich am Leben von Laura Dols, die sie persönlich kennt, hat sich jedoch auch fachkundigen Rat in der Secondhand-Branche und bei Modeexperten eingeholt. Und so erfährt man, während man tief in die Amsterdamer Szene eintaucht, ganz nebenbei Details über Schnitte und Verarbeitung, zu Stoffen wie Chinakrepp, Musselin oder Cloqué oder die Arbeit der ganz großen in der Modebranche.
Die Vintage Queen bleibt ihren Idealen treu. Sie fertigt anspruchsvolle Mode, die immer aus Secondhandmodellen hervorgegangen ist und die in ihrer Einmaligkeit die Hippieära übersteht. Sie schaut hinter die Kulissen, lernt über ihre Geschäftskontakte u.a. die Geschichte einiger jüdischer Familien kennen, erfährt nach gemeinsamen Geschäften beim Genever in Amsterdamer Szenekneipen die Tragik, die ihre Mitstreiter erfahren mussten.
Die Boutique von Koko wird zum Magneten für ungewöhnliche Menschen und Künstler, wie das Schwulenpärchen Billy und Barnie. Beide veranstalten Modehappenings im Poptempel Paradiso, die die Autorin fantastisch schildert. Doch auch die andere Seite der Branche wird gezeigt, den zunehmend härter werdenden Kampf um Gebrauchskleidung, zunächst in Holland, Westeuropa und den USA; dann nach dem Fall des Eisernen Vorhangs – vorrangig in Osteuropa.
So ist das Leben der Vintage Queen auch eine Art Zeitreise in den Secondhandmarkt der letzten dreißig Jahre des letzten Jahrhunderts. Mit dem Buch gelingt der Autorin das Portrait einer erfolgreichen Frau, die mutig und kreativ ist und vor allen Dingen an sich selbst glaubt.
Ellen Norten - 12. Oktober 2018 ID 10970
Link zum Buch:
https://www.dtv.de/buch/saskia-goldschmidt-die-vintage-queen-26181/
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