Hafen,
Schiffe und
ungewöhnliche
Tote
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Bewertung:
Da hat man kaum das erste Buch gelesen, ist unsicher, wie man mit dem offenen Ende umgehen soll, und da folgt auch schon das zweite. Fest steht, dass ich Kommissar Thies Knudsen und seinen philosophieinteressierten Freund, den ehemaligen Hochseekapitän Oke Andersen, Spitzname "La Lotse", ins Herz geschlossen habe. Und wenn ich sehe, dass beide Bücher von einem Autorenduo - Kester Schlenz & Jan Jepsen - geschrieben wurden, deren Namen bereits die Hanseaten verraten, liegt es nahe, dass die beiden wohl einiges Autobiografisches in ihre Protagonisten gepackt haben.
Kommissar Knudsen ist alleinstehend und ein wenig in seine Kollegin Dörte Eichhorn verschossen, was er aber sich und schon gar nicht seinem Freund gegenüber eingestehen will. Er ist ein gründlicher, wenn auch bärbeißiger Ermittler. Sein Freund "La Lotse" ist ebenfalls alleinstehend, hat immerhin eine Tochter. Als Rentner lebt er in einem Häuschen direkt an der Elbe. Er ist ein intimer Kenner des Hamburger Hafens. In den letzten Berufsjahren hat er als Lotse gearbeitet. Insbesondere er beschert uns einen Insiderblick auf die Vorgänge dort, aber auch auf skurrile Besonderheiten, wie den tschechischen Hafen in Hamburg.
Was die beiden Kriminalfälle angeht, so halten es die Autoren mit spektakulär in Szene gesetzten Opfern:
"'Wir suchen also einen Mann oder eine Frau mit sehr guten anatomischen Kenntnissen, der oder die die Technik der Plastination beherrscht und über eine Art Labor mit diversen Gerätschaften verfügt', fasste Knudsen zusammen.
Prange nickte professoral.
'Und wir wissen nicht, ob wir hier einen Killer oder nur einen durchgeknallten Leichenschänder vor uns haben', ergänzte Dörte Eichhorn. 'Jemand mit Neigung zur Nekrophilie vielleicht?'"
(Der Bojenmann, S. 40)
Die Mordopfer sind also plastiniert, ein Verfahren, dass Gunther von Hagens publik gemacht hat. Fast lebensechte Leichen, doch mit sichtbarem Innenblick, stehen an prominenten Stellen. So wird der Bojenmann, wohl eines der (kleinen) Wahrzeichen Hamburgs, durch das erste plastinierte Opfer ersetzt. Doch was steckt dahinter? Obwohl die Autoren den Täter immer wieder kurz aus der Ich-Perspektive heraus schildern, erfahren wir dies nicht.
Auch im Schattenmann- Fall gibt es einige Szenen, in denen die Autoren den Täter kurz in der Ich-Perspektive auftreten lassen. Anders als beim Bojenmann erfahren wir hier die Hintergründe zu seinen schrecklichen Taten. Anscheinend handelt es sich um den ehemaligen Insassen einer Heilanstalt, der dort als Kind, wie auch andere Leidensgenossen, schwer misshandelt und missbraucht wurde. Nun greift er zu später Rache:
"Der Mann saß, nein hing in einer Lache aus Blut und Urin, die Beine ausgestreckt, den Mund mit Tape verschlossen, beide Arme wie ein Reichsadler oder Jesus am Kreuz an der Werkbank fixiert. (…)
Am anderen Ende der Werkbank lagerten verschiedene selbstgebastelte Vogelhäuser. Der nächste Abgrund, dachte Knudsen, korrigierte sich aber als er sah, dass eins davon einem stillen Örtchen nachempfunden war, wie man sie noch auf Alpenhütten antraf. Nur dass das Herz in der Tür kreisrund war, damit sich die Meisen nicht beim Ein- und Ausfliegen zwischen den Flügeln verletzten. Gar nicht mal unoriginell, dachte Knudsen, könnte man glatt La Lotse zum Geburtstag schenken. Sofort schämte er sich für diesen Gedanken angesichts des Grauens um ihn herum."
(Der Schattenmann, S. 51)
Im Roman kommen immer wieder Fragen nach Verständnis für den Täter, nach Rache und Selbstjustiz zum Tragen, die auch die ermittelnden Beamten beschäftigen, in ihrem Handeln jedoch nicht leiten. Für uns Leser gibt insbesondere der zweite Fall einigen Stoff zum Nachdenken mit auf den Weg.
Auch wenn der erste Fall nicht abgeschlossen wird, so bieten beide Bücher gute Spannung und Unterhaltung, mit unerwarteten Wendungen und glaubhaftem hanseatischen Lokalkolorit. Es ehrt die Autoren, dass hier Täter, Opfer und Ermittler aus tiefst menschlicher Perspektive geschildert werden, ohne Partei zu ergreifen, und so verzeihe ich den beiden, dass der Bojenmann ein Phantom bleibt und vermutlich auch in weiteren Folgebüchern herumspuken wird. Die werde ich mir aber auch ohne diesen mysteriösen Täter zulegen.
Ellen Norten - 10. November 2023 ID 14465
btb-Links zum
Bojenmann
und zum
Schattenmann
Post an Dr. Ellen Norten
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