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Es sind Alltagssituationen, unaufgeregt, bei denen ich nichts Arges zu erwarten habe. Doch langsam Schritt für Schritt geht es ins Abseits, wird es langsam unwirklich, entwickelt sich ein subtiler Schauer, bis das Grauen sich wie ein Zelt über den Leser stülpt. Das Buch lag in meinem Briefkasten. Ich hatte es nicht bestellt. „Wie immer ungefragt. Unaufgefordert. Ungewünscht“ besagt das Begleitschreiben des Verlages. Das Cover ist mäßig, immerhin ein Hardcover, das gut in der Hand liegt. Innen in ansprechendem Lila ausgekleidet fordert mich das Buch zu einem ersten Blick auf. Ich blättere zum Text, bleibe bleben.


"Dieses Haus hat immer schon geknarzt und geweint und gesungen, besonders wenn meine Familie hier war. Ich behaupte nicht, dass ich die Physik hinter solchen Dingen verstehe, aber ich habe schon vorher in alten Häusern gewohnt, und die Kombination aus losen Brettern, verzogenem Holz und angesammeltem Staub scheint eine Umgebung zu schaffen, in der Geräusche auf seltsamen Pfaden durch ein Haus wandern." (Das langsame Fallen von Staub an einem ruhigen Ort, S. 12)


Was für eine Sprache – und dies ist „nur“ eine Übersetzung, die erste überhaupt, die es von Steve Rasnic Tem gibt. Der Übersetzer Gerrit Wustmann wusste, worauf er sich einließ, hat er doch gleichzeitig die Geschichten für diese Sammlung ausgewählt.

Titelgebendes Thema „Staub“.

Was gibt es dazu zu sagen? Für den Protagonisten genug. Er lebt aus freien Stücken im Keller seines Hauses. Sein strenges Eremitentum hat keinen religiösen Ursprung, sondern dient einzig und allein der Lektüre von Büchern. Er unterhält keinerlei Kontakt, weder zu seinen Nachbarn noch zu seiner Tochter Kat. Obwohl er ein sympathischer Ich-Erzähler ist, den wir zunächst zu verstehen glauben, verstehen wir doch nichts von ihm.


"Ich liebe meine Kat, und ich weigere mich, mir vorzustellen, dass sie tot ist. Und das, obwohl ich seit zwanzig Jahren kein Wort von ihr gehört habe. Manche würden wohl sagen, dass ich ein Mann mit mickriger Vorstellungskraft bin.
So viel Staub. So viel Staub, dass ich husten muss, wenn ich eine Seite umblättere. Ich muss würgen, wenn ich laut lese, begierig danach, eine Stimme im Zimmer zu hören. Aber langsam verweigert mir der Staub auch das. Ich fühle, wie die Tränen sich auf meinen Wangen zu Schlammspuren verwandeln. Der Staub ist in meinen Augen und verstopft meine Kehle. Aber es ist keine Traurigkeit in mir – ich kann mich nicht dazu bringen, mir Traurigkeit vorzustellen."
(S. 22)



Das langsame Fallen von Staub an einem ruhigen Ort ist der Titel der zitierten Kurzgeschichte und gleichzeitig Titel des Buches. Schon das ist ungewöhnlich, und der Verlag unterstreicht dies, indem er am Seitenende zwei staubige Handabdrücke auf das Papier druckt. Steve Rasnic Tem, der für mich auch einen ungewöhnlichen Namen trägt, hat hunderte von Geschichten geschrieben, in fast allen Genres. Im Zentrum seiner Arbeit stehen allerdings Horror und Weird Fiction, und er erweitert die Genregrenzen konsequent. Berechtigt wird er mit Franz Kafka oder Ray Bradbury verglichen.

Beim Aufenthalt an der Küste beschließt Carson, ein Geschäftsreisender, nicht mit Bus und dann per Linienflug nach Hause zurückzukehren. Dem Vorschlag eines Kollegen folgend nimmt er einen Zug zur Küste, um dann über einen historischen Hafen eine außergewöhnliche Schiffsreise anzutreten. Schon die Zugreise verläuft unheimlich; niedrig liegende Nebelschwaden behindern die Aussicht. Am Hafen angekommen, gibt es dort kein Wasser, der Ozean folgt seinen eigenen Gezeiten. Wird das Schiff jemals anlegen können? Neue Reisende treffen ein, per Zug, wie auch sonst. Anders kann wohl niemand diesen mysteriösen Ort erreichen. Doch scheint auch ein Entkommen unmöglich.

Im Prolog des Buches heißt es:


"Schreibe ins innere Ich! Ein Buch voller surrealistischer Reiseberichte."


Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Wer sich auf diese Texte einlässt, bekommt ein ungewöhnliches Leseerlebnis.


Ellen Norten - 22. Mai 2024
ID 14759
Verlagslink zu dem Erzählten von Steve Rasnic Tem


Post an Dr. Ellen Norten

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