Ausverkauf
des Selbst
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Bewertung:
„Wir feiern das Kaputte, wir tarnen unsere Schwäche als gewollt, wir funktionieren, solange wir es müssen, alles kann in sich zusammenfallen, aber das hier nicht: die Maske, der Tarnanzug aus Funktionalität.“ (Kathrin Weßling, Super, und dir?, S. 71)
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Der PR-Arbeitsmarkt ist eine Herausforderung, die Ansprüche hoch, und sogar in den sogenannt privaten sozialen Netzwerken gilt es, sich gewinnbringend zu vermarkten. Denn auch hier ist man ja für den eigenen Arbeitgeber "öffentlich", weil natürlich mit den Kollegen vernetzt. Selbstoptimierung ist angesagt. Marlene Beckmann, Ich-Erzählerin in Kathrin Weßlings Roman Super, und dir?, ist Berufsanfängerin. Als 31Jährige ist sie natürlich Digital Native, surft regelmäßig durch Google-Suchergebnisse und Facebook-Bilder, hört Spotify-Mixe, benutzt Training-Apps und teilt auf Instagram Selfies mit oberflächlichen Sinnsprüchen. Mit ihrem geisteswissenschaftlichen Abschluss scheint sie nach zahlreichen Praktika endlich angekommen; fängt sie doch als befristete Community Management Volontärin in einem größeren Unternehmen an. Hier betreut sie Facebook-Gruppen und Lifestyle-, Beauty- oder Interieur-Blogger, die als mögliche Influencer für hauseigene Produktneuheiten werben sollen. Dabei erreicht sie Hunderttausende mit kurzen Textpostings, die auf Verlosungen und Gewinnspiele verweisen.
Der schöne Schein steht hoch im Kurs. Marlene ist schlank, hübsch und weiß, wie man sich auf dem Parkett der Unternehmenspräsentationen vorbildlich ins Licht setzt. Um jedoch trotz ungezählter Überstunden noch auf andere Gedanken als an die hauseigene Unternehmensphilosophie zu kommen, fängt Marlene an, Drogen zu nehmen. Auf Partys oder auch alleine am Wochenende genehmigt sie sich Kokain, Speed, MDMA, Ketamin oder Meth und trinkt dazu Gin Tonic oder Wodka. Bald merkt sie, dass sie mehr und mehr in eine Abhängigkeit gerät. Sie glaubt, dass sie dies noch gut verschleiern kann:
„Es gab ihn nicht, diesen Moment, in dem ich so sehr die Kontrolle verloren hätte, dass es jemandem aufgefallen wäre. Es gab ihn nicht, diesen Moment, in dem jemand gemerkt hätte, dass da jemand die Kontrolle verloren hat und dieser Jemand genau das nicht einmal mehr spürt und deshalb behauptet, es hätte überhaupt gar keinen solchen Moment gegeben. Ein Fremder würde niemals erkennen, was hier passiert. Und selbst wenn, würde er doch nur sagen, dass das alles halb so wild sei.“ (S. 70)
Einen Kritiker gibt es jedoch immer. Richtig: Marlene stellt bald sich selbst und ihr tägliches Tun in Frage. Es fällt ihr zunehmend schwerer, sich im Spiegel zu betrachten. Als auch noch ihr Freund alleine in Urlaub fliegt, durchfährt sie eine heftige Panikattacke. Sie beginnt sich an die eigene Kindheit zu erinnern, in der sie als Einzelkind auch ständig funktionieren musste.
Die 33jährige Autorin Weßling bereichert ihren Roman durch innovative Einschübe, wie Whats App-Gedankenspiele, auf die später ganz andere, tatsächliche Nachrichtenverläufe folgen. Außerdem gibt es gegen Ende des Romans noch den ‚Wie viel Marlene Beckmann steckt in Ihnen-Test‘ für die beflissene Leserschaft. Doch auch der Selbsttest ändert nichts daran, dass man sich für die Protagonistin stets eine andere Fortsetzung wünscht.
Super, und dir? ist ein starker, wütender und frecher Roman. Jedes Wort sitzt schmerzhaft. Das kurzweilige und unterhaltsame Werk porträtiert die unaufrichtige und brutale Welt der Werbeindustrie prägnant. Inmitten dieses glattgebügelten Businesskosmos begegnen einen Selbstzweifel und existentielle Ängste, wie vor der Einsamkeit. Dabei geht die Ich-Erzählerin immer noch einen Schritt weiter in Richtung Selbstaufgabe. Obwohl sie es eigentlich besser weiß, scheint der endgültige Absturz – einer größtmöglichen Erfüllung gleich – stets vorprogrammiert:
„Meine Synapsen fackeln ein Feuerwerk ab, die Musik setzt ein, ein leises Wummern im Takt des Herzschlags, Techno, Strobo, Licht an. Der Wodka schmeckt nach Nacht, der Rausch nach Adrenalin, nach Tag, nach Wachheit. Der Körper fällt zurück ins Kissen, der Kiefer krampft ein bisschen, endlich taub, endlich wach, endlich da, endlich nicht mehr hier. Alle Räume abgedunkelt, mein Gehirn im Partykeller. Von der Decke fallen Raketen und Glitzer, der Boden voller Konfetti, die Gedanken tanzen im Halbdunkel.“ (S. 166)
Ansgar Skoda - 11. Oktober 2018 ID 10969
Link zum Buch:
https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/super-und-dir-9783961010103.html
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