Frischer Wind
und alte
Meister
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Kann Kunstgeschichte spannend sein, kann uns die Arbeit eines Museumsdirektors in den Bann ziehen – auch wenn wir selbst „nur“ Laien sind? Mariam Kühsel-Hussaini beweist es, wenn sie uns Hugo von Tschudi, den Direktor der Nationalgalerie in Berlin und seinen Streit mit keinem geringeren als Kaiser Wilhelm II. in einem Roman präsentiert. Um ehrlich zu sein, so hatte ich den Namen Tschudi noch nie zuvor gehört. Hugo von Tschudi, der Angehörige einer Schweizer Dynastie, die bis auf das 15. Jahrhundert zurückgeht, hatte 1896 die Leitung der Nationalgalerie auf der Museumsinsel übernommen und für spektakuläre Ankäufe von Kunstwerken gesorgt. Eine Normalität? Bei mir stieß es eine Kaskade von Gedanken an:
Für jeden Maler gibt es den Schritt, ein erstes Bild in einem Museum unterzubringen. Gelingt dies und handelt es sich zudem um ein bedeutendes Museum, wird sein Name damit Popularität erlangen. Doch wer bestimmt diesen Sprung, wer entscheidet, was Ausstellungswert besitzt und letztendlich was (moderne) Kunst ist? Wer trifft den richtigen Zeitpunkt, entdeckt Neues in der Kunst und hält dieses für so bedeutsam, dass es den Ankauf für ein Museum rechtfertigt? Um 1900 war Hugo von Tschudi ein solcher Entscheidungsträger und brachte die ersten französischen Impressionisten in die Nationalgalerie. Für uns heute ist es kaum vorstellbar, dass Bilder von Édouard Manets oder Claude Monets nicht nur Begeisterung auslösten, sondern sogar von Kunstkennern abgelehnt wurden. Der neue Umgang mit Farbe, die Art der Pinselführung waren für die Traditionalisten schier unverständlich und einer Ausstellung nicht würdig.
Die Autorin beschreibt uns, wie Tschudi Kunst gesehen hat und bedient sich dabei auch aus seinen Aufsätzen und Veröffentlichungen. Ihre Schreibe selbst wirkt an vielen Stellen manieriert, ermöglicht aber einen Blick auf Malerei, wie es sonst schwer zu vermitteln wäre und erscheint mir daher gerechtfertigt:
"Man darf ein Gemälde nicht betrachten.
Man muss in das Bild hinein.
Man muss zwischen den Farben sein, wenn sie auf der Leinwand gemischt werden.
Man muss im glatten Pompejanischblau ertrinken, wenn das anrollende Neapelgelb einen wieder heraushebt und ins dickgefleckte Chinesischweiß schmiegt.
Diese Pigmente kämpfen. Sie verschlingen einander. Sie streicheln sich.
Malerei ist, wenn die Grundierung keinen Ausweg und die Akzente keine Ausreden mehr kennen.
Wenn sie verschwimmen, wie ein Blick verschwimmt.
Wenn Grün zu Rot wird, weil es Licht sein will.
Wenn alle Zeiten in fünf Strichen vereinigt sind. Alle Menschenalter und alle Tode." (S. 305)
Zwölf Jahre währte der Kampf um die Exponate in der Nationalgalerie, den Tschudi letztendlich verlor. Als der Kaiser eine bereits bewilligte Zahlung für neue Werke nicht einlöst ist das Ende für den Museumsdirektor vorprogrammiert. Tschudi wechselt zu den Staatlichen Galerien nach München, wo er bald darauf an einer schweren und mysteriösen Erkrankung stirbt. Neben diesen biografischen Daten lernen wir aber auch den Menschen kennen, der elegant, selbstsicher und engagiert bei berühmten Künstlern wie Max Liebermann oder Auguste Rodin ein und aus geht, dessen Ausstrahlung die Frauen fasziniert, obwohl er wegen seines Leiden eine Gesichtsmaske trägt. Tragisch, fast unheimlich ist sein Tod, die Wolfskrankheit frisst langsam sein Gesicht auf.
Auch wenn ich seinen Namen nicht kannte, so hat dieser Mann großes geschaffen und die von ihm geförderten Künstler haben ihn mit ihrem Erfolg ebenfalls unsterblich gemacht. Mariam Kühsel-Hussaini setzt dies mit ihrem Buch gekonnt in Szene.
Ellen Norten - 16. April 2020 ID 12167
Rowohlt-Link zum Roman
Tschudi
Post an Dr. Ellen Norten
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