Resetarits,
Hader und
der Schmäh
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Das Kabarett hat in Österreich eine lange Tradition. Es unterscheidet sich aber signifikant vom Kabarett im benachbarten Deutschland. In der Zwischenkriegszeit war es von jüdischen Künstlern, auch aus den ehemaligen Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie, geprägt, die – eine interessante und interpretationsbedürftige Parallele – ähnlich dominierend präsent waren wie ihre Kollegen türkischer Herkunft im gegenwärtigen deutschen Kabarett. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist davon aus den bekannten Gründen wenig übrig geblieben. Es bedurfte eines erneuten Anlaufs, bis das Kabarett in Wien einen neuen Höhepunkt erreichte. Dieses aber war, wenn man von einzelnen Beiträgen Georg Kreislers und Helmut Qualtingers absieht, weniger explizit politisch und aggressiv als die prominenten Ensembles und Einzelgänger jener Jahre in Westdeutschland. Carl Merz, der Koautor von Qualtingers Der Herr Karl, war sogar ein gestandener Anhänger der konservativen ÖVP. Dafür spielte Musik eine wichtige Rolle. Erinnert man sich heute an die Gruppe, die Gerhard Bronner um sich versammelt hatte, fallen einem in erster Linie Lieder ein und erst danach die Doppelconferencen, die eine Tradition der Zwischenkriegszeit fortführten.
Über die Grenzen Österreichs hinaus kaum bekannt wurde Kuno Knöbls (ehemaliges Studenten-)Kabarett Der Würfel. Aber eine neue Generation von hochbegabten Kabarettisten ließ nicht lange auf sich warten. Ihr hat das seit 2001 mit einem Zwischenaufenthalt im steirischen Straden in Graz bestehende Österreichische Kabarettarchiv, ein Pendant zu dem bereits 1961 von dem früh verstorbenen Reinhard Hippen gegründeten Deutschen Kabarettarchiv, den dritten Band seiner Kulturgeschichte des österreichischen Kabaretts gewidmet, einen imponierenden großformatigen Wälzer von fast 500 Seiten. Alle drei Bände tragen das Stichwort „Lachen“ im Titel. Der aktuelle, von der Archivleiterin Iris Fink verfasste Teil heißt „… und das Lachen höret nimmer auf“. Von politischer Kleinkunst zum Kabarettboom. Kleinkunst in Österreich 1970 bis 2000. Gerade diese Neuerscheinung macht die Diskrepanz bewusst zwischen dem Reichtum des kabarettistischen Angebots und der verspäteten Gründung sowie der Unterfinanzierung eines Archivs. Dass auch in Deutschland die legendäre Lach- und Schießgesellschaft jüngst Konkurs anmelden musste, illustriert die ökonomische Misere über Österreich hinaus.
Nach einem kursorischen historischen Überblick über das österreichische Kabarett, widmen sich die Kapitel einzelnen Persönlichkeiten, Ensembles, Institutionen und Vorfällen. Am Anfang steht jenes Kleintheater, das eng mit dem Namen Karl Farkas verbunden ist, die Jahrzehnte überlebt hat, immer noch existiert, aber nur noch als matter Abglanz seiner beachtlichen Vergangenheit. Auch in den darauf folgenden Kapiteln werden einzelne Prominente porträtiert, deren größte Erfolge 1970 bereits Geschichte waren.
Die eigentliche Wende, nicht zuletzt zur politischen Radikalisierung des österreichischen Kabaretts, tritt mit Lukas Resetarits ein, dem zu Recht ein eigenes Kapitel eingeräumt wird. Ausführliche Zitate aus seinen Programmen erhöhen die Plastizität der Beschreibungen. Neben bekannten Fakten kennzeichnet Iris Fink etwa mit einer Anleihe beim Wien Geschichte Wiki die Atmosphäre der innenstädtischen Kaffeehausszene, in der sich damals die verschiedenen Typen der Wiener Subkultur trafen, unter ihnen eben auch Lukas Resetarits.
Wien steht, statistisch gerechtfertigt, im Zentrum der Chronik, aber die Autorin blickt auch in die Bundesländer (als wäre Wien nicht eins von ihnen). Ein Kapitel gehört dem in Deutschland dank Fernsehpräsenz wohl bekanntesten österreichischen Kabarettisten Werner Schneyder. Iris Fink schreitet die Reihen der mehr oder weniger seriösen Spaßmacher gewissenhaft ab, um bei dem genialsten Spross der jüngeren Kabarettgeschichte zu landen, bei Josef Hader, von dem sich sagen ließe, dass er das Kabarett neu erfunden hat. Andreas Vitásek, Herwig Seeböck, Alfred Dorfer und mehr stehen für andere, eher traditionelle Spielarten. Lisa Eckhardt kommt nicht vor. Sie hat erst nach dem Jahr 2000 debütiert. Ich vermisse nichts.
Thomas Rothschild – 27. Februar 2023 ID 14068
https://www.kabarettarchiv.at/und-das-Lachen-hoeret-nimmer-auf
Post an Dr. Thomas Rothschild
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