Am Puls der Zeit
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Bewertung:
Jedes Jahr erscheint ein neuer Thriller von Andreas Winkelmann, und wer glaubt, bei diesem Output würden Spannung und Inhalt auf der Stecke bleiben, der irrt. Wieder konnte ich das Buch [Die Karte] kaum aus der Hand legen, obwohl das Umfeld der Opfer mich eigentlich nicht die Bohne interessiert. Es geht ums Joggen, doch hier zählt nicht nur die körperliche Ertüchtigung allein, hier werden Outfit, Leistungen und Joggingrouten in sozialen Medien gepostet und verglichen, eine Welt, die ich so bisher nicht kannte. Wenn ich schon beim Fernseh-TATORT lernen musste, dass Joggingrouten nachts durch den Wald führen können und die Kopfleuchte in der Dunkelheit einen Zusammenstoß mit einem Wildschwein u.U. nicht verhindern kann, so bringt mir Sportmuffel Winkelmann nun den Fitness-Tracker nahe, ein Gerät, das die Jogginglaufstrecke online teilt.
Jeder kann wissen, wann wer wo läuft – und das liefert die Idee zum Thriller. Jeder könnte also dem Jogger auf seiner Route auflauern und ihn umbringen. Bei Winkelmann sind es wieder einmal die Frauen, junge, attraktive Joggerinnen werden also ermordet, die Frage ist. von wem und warum?
"Mein Jubelschrei ist kindisch, ich weiß, aber ich kann ihn nicht unterdrücken.
Ich greife nach dem nächsten Blatt. Auf ihm steht, wie lange es dauert zu sterben.
Das stimmt nicht ganz mit den fünf Minuten dreiunddreißig überein, kommt der Sache aber nahe. So verkehrt lag ich damals gar nicht mit meinem theoretischen Wissen.
Auch dieses Blatt knülle ich fest zusammen und werfe es zum Papierkorb. Diesmal treffe ich nur den Rand, und es fällt zu Boden, doch es ficht mich nicht an. Ich habe noch knapp hundert weitere Blätter und Versuche.
In diesem Moment ist die Idee da. Sie ist wunderschön und zwangsläufig und von einer bestechenden inneren Logik.
Für jedes einzelne Blatt Papier wird eine Läuferin sterben."
(S. 112)
Ein mysteriöser Mörder, dessen Identität lange unklar bleibt. Ein Radfahrer, der nachts auf seinem Zweirad einen menschlichen Unterschenkel transportiert, und dazwischen immer wieder die Rückblicke eines kleinen Mädchens, das unter traurigen familiären Umständen sein Leben zwischen Angst und Gewalt fristet.
Wie immer schafft es Winkelmann, die sehr unterschiedlichen Handlungsstränge zu einem logischen Ganzen zu vereinen. Doch eigentlich sind es Kommissar Jens Kerner und seine Mitarbeiterin Rebecca Oswald, die hier ihren vierten Fall aufklären. Die beiden geben ein originelles und sympathisches Ermittlerteam ab, das einen guten Gegenpol zu den grausamen Szenen bietet.
Eine Besonderheit der Winkelmann-Thriller steckt darin, dass der Autor hochaktuelle Trends, die sich gerade erst bemerkbar machen, zur Inspiration seiner Fälle nutzt. Nachdem im Haus der Mädchen eine private Zimmervermittlung nach Vorlage von Airbnb und in Der Fahrer der private Fahrdienstanbieter Mydrive die zentrale Rolle spielen, wählt Winkelmann nun die Routen des Fitness-Tracker als bizarre Täterinspiration.
Ellen Norten - 28. August 2021 ID 13099
rororo-Link zu
Die Karte von Andreas Winkelmann
Post an Dr. Ellen Norten
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