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Ihr Alter ego ist eine Comic-Figur: spitze Nase, Knopfaugen, struppiger Pagenkopf mit glänzendem Scheitel, quergestreiftes T-shirt. Lisa Frühbeis hat sich selbst zu einer Kunstfigur stilisiert.

Um sich so etwas Farbe und wenigen Strichen - aber viel Authentizität - durch die Tücken des weiblichen Alltags zeichnen zu können. In diesem (unser aller) Frauenleben stößt sie auf allerhand Zumutungen.

Immer fehlt was. Mal ist der Sport-BH in der Wäsche, und es gilt über Kopfsteinpflaster zu radeln. Das führt zu einem „Erlebnis“ und zu der Frage: wieso heißt der BH eigentlich „Büstenhalter“? Hat sich der Worterfinder im Biedermeier so sehr geschämt? Da zeichnet Lisa Frühbeis doch gleich eine wortwörtliche Alternative: ihre Comic-Figur hält eine Büste in Händen – von Königin Luise aus Gips. Ein Busengewunder.

Oder aber: etwas darf eben nicht fehlen. Pieksige Stachelhaare an den Beinen, schmerzlich hohe Absätze an den Schuhen („Pömp my feet“), der etwas teurere, rosafarbene Hammer für die Heimwerkerin, die zum Ausgleich etwas weniger verdient. Gendermarketing – ein Geschäft zu Lasten der Frau. Wussten Sie zum Beispiel, dass rosa früher eine „männliche“ Farbe war und Blau „weiblich“? Änderte sich erst im 19. Jahrhundert durch die blaue Militärmode, weiß Lisa Frühbeis. Ach ne....

Und es gibt sogar Redakteurinnen, die gnadenlos nahezu unlösbare Aufgaben stellen: Machen Sie doch mal was über Menstruation! Als ob es zu dem Thema so viel Lustiges zu berichten gäbe. Also noch mehr Recherche in der Bibliothek und Gespräche – mit der Mutter, dem ehemaligen Professor, der Freundin. Lisa Frühbeis legt Wert darauf, dass man aus ihren Comics auch was lernt, Neues erfährt. Das können auch sogennante Fun Facts sein, wie der Bedeutungswandel der rosa Farbe.

*

Seit 2017 hat Lisa Frühbeis ihre Comics für die sonntäglichen Magazinseiten des Berliner Tagesspiegel gezeichnet und sich damit einen Namen gemacht. Zudem wurde die (leider im Jahre 2019 eingestellte) Serie mit dem Max-und Moritz-Preis ausgezeichnet. Mit Witz, Verve und spitzem Stift hat sie Tabus aufgespießt, sich über Vorurteile, mangelnde Chancengleichheit und Benachteiligungen im Leben von Frauen geärgert. Ihr großes Vorbild: Claire Brétecher. Doch die 33jährige hat einen ganz eigenen Stil gefunden. Wo Brétecher überbordende Proportionen setzt, wirken die Figuren von Lisa Frühbeis stark vereinfacht. Die fast kindlichen Männlein und Weiblein sind körperlich voneinander kaum zu unterscheiden, wären da nicht bei ihr unterm T-shirt zwei Halbkreise zu sehen. Bei aller Reduktion gelingt es ihr, mit wenigen Strichen eine ganze Bandbreite von Gefühlen in die Gesichter zu zaubern. Das wirkt modern, konsequent, klar und im wahrsten Wortsinne auf den Punkt gebracht.

Die Arbeiten der gebürtigen Münchnerin, die in Augsburg lebt, wurden bereits in etlichen Ausstellungen präsentiert, im Literaturhaus München etwa und der Brooklyn Art Library in New York. Ausgezeichnet wurde sie u.a. mit einem Merit Award der 3x3 Illustration Show New York. Lisa Frühbeis ist auch als Kreativcoach tätig und freut sich, immer mal wieder als „Graphic Recoderin“ aufzutreten. Das heißt, sie zeichnet bei verschiedenen Veranstaltungen live mit. So hat sie im vergangenen Jahr Workshops und Podiumsdiskussionen in der Münchner Musikhochschule spotan festgehalten.

In diesem Jahr wurden leider einige Projekte durch Corona verhindert. Um so mehr dürfen wir genießen, was Lisa Frühbeis mit ihrem Busengewunder bereits vorgelegt hat.



Petra Herrmann - 9. Juni 2020
ID 12289
Die Kolumnen dieses Buches erschienen erstmals unter dem Titel My 100 Days of Strangelife von 2018 bis 2019 in der Sonntagsausgabe des Berliner Tagesspiegel sowie in Aviso-Magazin für K und W in Bayern.
Carlsen-Link zum Busengewunder


Post an Petra Herrmann

petra-herrmann-kunst.de

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