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Buchkritik

Henry Kissinger - China

Zwischen Tradition und Herausforderung
Pantheon Verlag, 2013
ISBN 978-3570551912



Kissinger über Chinas Rückversicherung durch Diplomatie


Geschichte, Erinnerungen, Autobiografie: Vor vierzig Jahren war Henry Kissinger einer der amerikanischen Akteure, die das Verhältnis zu China neu ordneten. Jetzt hat er Bilanz gezogen.

* * *

Der Mann weiß, wovon er spricht. Henry Kissinger, Historiker und Diplomat, Friedensnobelpreisträger und elder statesman, war vor nunmehr 40 Jahren maßgeblich an der - nach eigener Einschätzung „revolutionären“ - Neugestaltung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China beteiligt. Fünfzig Mal hat er seither das Land der Mitte besucht. Jetzt zieht der Neunzigjährige in einem monumentalen Werk Bilanz. Seine Betrachtungen zur neueren Geschichte Chinas gehen bis ins ausgehende 18. Jahrhundert zurück, zeigen, warum und wie das Reich der Mitte im 19. Jahrhundert „von der beherrschenden Macht seines geografischen Raums in ein Objekt konkurrierender Kolonialmächte verwandelt“ wurde. Sie schildern Pekings Rückkehr in den Kreis der großen Mächte und den Aufstieg zum gleichrangigen Partner der Weltmacht Amerika.


Einblick in die Welt der Diplomatie

Seine Insiderberichte sind unbestritten die stärksten Passagen. Doch das Buch geht über eigene Erinnerungen hinaus, es versucht, Chinas Entwicklung und politische Strategie geschichtlich, kulturell und philosophisch zu erklären. Und es wirft einen Blick in die Zukunft der schwierigen Beziehung beider Großmächte. „Scharfsinnig und manchmal pervers“ nennt die New York Times das Buch, das im Original lapidar On China heißt. Das Buch liefere eine Verteidigung der Realpolitik des Autors, in der Menschenrechte nur eine untergeordnete Rolle spielten, lautet die Kritik. Dazu gehöre seine milde Einschätzung von Mao Tse-tung, dem wohl größten Massenmörder der Geschichte: „Wenn China vereint bleibt und sich zu einer Supermacht des 21. Jahrhunderts entwickelt, wird Mao für viele Chinesen vielleicht einen ähnlich ambivalenten, aber respektierten Platz einnehmen wie Qin Shihuang, der Kaiser, den Mao selbst verehrte: ein Dynastiegründer und Autokrat, der China in ein neues Zeitalter trieb (...) Für andere wird das ungeheure Leid, das Mao über sein Volk brachte, seine Leistungen jedoch stets überschatten.“
Auch Kissingers Urteil über den Reformer Deng Xiaoping, der das Massaker in der Nähe des Tiananmen-Platz zu verantworten hat, fällt zwiegespalten aus: „Wie die meisten Amerikaner war ich schockiert, auf welche Weise der Protest auf dem Tiananmen-Platz beendet worden war, aber im Gegensatz zu den meisten Amerikanern hatte ich Gelegenheit gehabt, die herkulische Arbeit zu beobachten, die Deng in eineinhalb Jahrzehnten geleistet hatte, um das Land neu zu gestalten.“


Ein Zeugnis über das historische Denken

Eindrucksvoll beschreibt er seine Begegnungen mit Mao Tse-Tung, Tschou Enlai und Deng Xiaoping. Aus seiner Faszination für die drei chinesischen Führer und vor allem für den Großen Vorsitzenden macht er keinen Hehl. Wahrscheinlich spürt er die Sympathie unter Realpolitikern, die in ihren Gesprächen ideologische Unterschiede über Bord werfen können. Tschou En-lai beschreibt das so: „Der Steuermann muss auf den Wellen reiten oder er wird von der Flut fortgerissen.“ Und Mao Tse-tung skizziert in den Gesprächen mit Kissinger den Modus vivendi dieser Partnerschaft: „Tatsächlich könnte es sein, dass wir Sie manchmal eine Weile kritisieren wollen und manchmal Sie uns eine Weile kritisieren wollen. Das ist, wie ihr Präsident sagt, der ideologische Einfluss. Sie sagen, weg mit euch Kommunisten. Wir sagen, weg mit euch Imperialisten. Manchmal sagen wir solche Dinge. Es ginge nicht, dies nicht zu tun.“ Ideologie ist ein Mittel der Innenpolitik, das in der Außenpolitik nichts zu suchen hat.


Europa hat seinen Einfluss verloren

Kissinger schließt nachdenklich: "In seiner Schrift Zum ewigen Frieden vertrat der Philosoph Immanuel Kant die Ansicht, dass der ewige Frieden auf zweierlei Weise entstehen könne: durch menschliche Einsicht oder durch Konflikte und Katastrophen eines Ausmaßes, das der Menschheit keine andere Wahl lassen würde. Wir stehen an einem solchen Scheideweg." Ist ein solcher Pessimismus derzeit berechtigt?

In seiner Analyse der neuen Weltordnung erwähnt Kissinger Europa nicht ein einziges Mal, und in der Tat hat es seinen Einfluss in den klassischen Zirkeln der Macht verloren. Schaut man jedoch auf die Karten einer von Netzwerken vielfach verbundenen Welt, ist kaum allein von China und den Vereinigten Staaten als Führungsmächten auszugehen. Europa, aber auch Brasilien und Indien werden eine wichtige Rolle spielen.

Fazit: Kissingers China-Buch ist Geschichtsbuch, Erinnerungsbuch, Philosophieseminar, Monografie und Autobiografie in einem. Hieße der Autor nicht Henry Kissinger, dann wäre dieses Werk ein Alptraum für jeden Verleger. Doch so steht es einzigartig da, beinahe schon wie ein Vermächtnis, an dem man keine Silbe verändern möchte.



Mario Bartsch - 8. Juli 2013
ID 6921
Henry Kissinger; China
624 Seiten
Pantheon Verlag
16,99 Euro
978-3570551912



Siehe auch:
http://www.randomhouse.de/Paperback/China-Zwischen-Tradition-und-Herausforderung/Henry-A-Kissinger/e411773.rhd


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