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Rezension

Howard Jacobson - Liebesdienst

Aus dem Englischen von Thomas Stegers
DVA 2012
ISBN 978-3-421-04406-8





Man braucht eine ganze Weile, genauer gesagt, ein halbes Leben, wenn es denn überhaupt reicht, bis man verstehen kann, was dieser Howard Jacobson da schreibt. Er macht es seinen Leser ganz bestimmt nicht leicht, er quält sie dann und wann, führt sie an der Nase herum, schämt sich, so dass man sich zuerst ein klein wenig freut, (natürlich wegen des erheblichen Falles nach seinem ungeheuren intellektuellen Hochmut), um dann aber, schon wenige Sätze später, mitzufühlen und ihn ganz tief in sein Herz zu schließen. Nicht unwahrscheinlich, dass es mit diesen ganzen Sauereien zu tun hat, die er ja überhaupt nicht erzählen will, sondern nur kommentiert - aber gerade das ist ja das Schlimme daran: Dass ihm niemand diesen antipornografischen Geist abnimmt!

„Das liegt doch alles längst hinter uns“, würde Jacobson vermutlich dazu sagen, was freilich nicht bedeutet, der Roman Liebesdienst habe überhaupt nichts mit Pornografie zu tun! Im Gegenteil: Es wäre ganz und gar lächerlich, bestritte man es! Es wäre andererseits aber zweideutig, behauptete der Rezensent, diese Geschichte habe ausschließlich damit zu tun!

Obwohl die erotische Aktivität der Ehefrau des Erzählers im Lauf des Romans eine vermaledeite Promiskuität offenbart, kann mit Recht davon die Rede sein, dass es auch dem erzählenden Felix Quinn um Sex geht. Aber eben nicht ohne Abstriche! Man sollte es besser so formulieren: Es geht um Sex im Sinne einer osmotischen Erziehung zu höheren Freuden. Sehen Sie? Wie klingt das jetzt wieder? Ich hätte warnen sollen, denn es hat den Anschein, als habe Howard Jacobson tatsächlich einen Roman zur Erziehung des Menschengeschlechtes geschrieben!

Man ahnt es, in einer solchen Behauptung liegt eine ganze Menge Humorlosigkeit. Und doch, The Act of Love kann tatsächlich als Versuch gelesen werden, das Wesen der Liebe „ordo inverso“, wie durch einen Spiegel, „verkehrt herum“, darzustellen, so dass kein begehrliches Auge trocken bleibt. Will sagen: Sentimentalität wird hier als Basis des Voyeurismus dargestellt. Ohne das Fluidum des Sentiments kein begehrlicher Blick auf die verstörende Biologie der liebenden Leiber! Oder, wie Thomas Mann es einst mit Blick auf den sexuell nimmermüden Felix Krull in seiner schnöden hanseatischen Art ausdrückte: Ohne das konstruktivistische Liebesgefühl wäre jede sexuelle Handlung eine armselige ekelerregende Faktizität.

Jacobson versucht diese Diagnose umzukehren: Obsessiv allein ist die Lust an der Promiskuität. Sein Held Felix Quinn sehnt sich nach einem Geliebten für seine Ehefrau Marisa. Die er mehr als alles liebt. Marisa ist die definitive Liebe seines Lebens! Dennoch, er wünscht es sich so sehr, dass er sie bald mit dem notorischen Verführer Marius, seines Zeichens ein veritabler Sadist und Immoralist, zusammenbringt. Die tiefste Leidenschaft seiner Liebe besteht also darin, die Qualen der rasenden Eifersucht zu empfinden. Damit öffnet Jacobson in seinem Roman eine Pandora archaischer Gefühle und begegnet am anderen Ende seiner „Recherche sentimentale“ genau jenem Ideal, das für weite Teile unserer westlichen Zivilisation, deren Krankheit bekanntlich in der taumeldenden Ruhmsucht ihrer Subjekte besteht, als Selbstaufgabe durch die Liebe bezeichnet wird. Eine altehrwürdige, aber zum Himmel stinkende Ideologie, die Jacobson aufs Gründlichste am Phänomen sadomasochistischer Selbsterniedrigung im Spiegelraum der sogenannten romantischen Liebe ausleuchtet.

Wie ungeheuer schwer es ist und wie sehr man die eigene emotionale Intelligenz befreien kann von den scheinbaren Wagnissen des Zeitgeistes, den Errungenschaften jener dementen Liberalität, die man gelegentlich als postmoderne Conditio bezeichnet – dies wird durch Jacobsons Darstellungen der Irrfahrten des menschlichen Liebesgefühls so deutlich, dass es kein Rezensent auf einen Nenner bringen könnte, schon gar nicht auf einen Begriff! Versuchte man es dennoch, dann im Bewusstsein des eigenen Scheiterns. Kurz gesagt: In der Demütigung und Erniedrigung fanden nicht nur Häretiker, wie man weiß, ihre Glückseligkeit. Dass wir heute so weit von dieser Vorstellung entfernt sind, muss uns dabei nicht bekümmern. So mag man dieses Buch als anregende Liebesgeschichte, als Seelenreportage des durchmodernisierten Mannes oder schlicht als philosophierende Pornographie lesen. Auf seine Kosten kommt dabei jeder. Jacobson vermag es an einigen Romanstellen, die Haut unseres Gefühls abzuziehen, um so unsere inständigen Perversionen offenzulegen. Irgendwann wird aber auch dem Letzten klar, dass es diese Haut war, die sein Innenleben nicht mit dem eigenen Fleisch, sondern mit der Substanz seiner Umwelt und deren Gesetzen verband! Eine fleischliche Erkenntnis im Wortsinne. Oder man behauptet lapidar: Man ist eben nicht mehr derselbe in Liebesdingen, wenn man versteht, welchen Anteil der Schmerz an dem Sinn-fieber des Sinnen-fiebers besitzt. Der scheußliche Engel George Bataille flüsterte es einst auf seine Weise in unser Ohr: „Das Sinnenfieber ist nicht das Verlangen zu sterben. Ebenso ist die Liebe nicht das Verlangen, das geliebte Wesen zu verlieren, sondern das Verlangen, in der Angst um seinen möglichen Verlust zu leben, am Rande der Ohnmacht, an dem es den Liebenden festhält. Allein um diesen Preis können wir angesichts des geliebten Wesens die Gewalt des Entzückens verspüren.“

Jo Balle - 25. März 2013
ID 6640
Howard Jacobson - Liebesdienst
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
400 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
DVA 2012
ISBN 978-3-421-04406-8
€ 22,99 [D] | € 23,70 [A] | CHF 32,90



Siehe auch:
http://www.randomhouse.de


Post an Dr. Johannes Balle



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