#neuland oder schon #digitalland?
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Computer, Laptops und internetfähige Devices werden immer kleiner, immer schneller und übernehmen immer mehr Funktionen in unserem Leben. Doch die Netzgeschwindigkeit hinkt oftmals den zusehends steigenden Erwartungen an das Internet hinterher. Die Bundesregierung möchte dieses Jahr hierzulande flächendeckend Highspeed-Anschlüsse von mindestens 50Mbit/s zur Verfügung stellen. Experten gehen davon aus, dass dieses Ziel nicht erreicht werden kann.
Tobias Kollmann, Professor für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen, und Holger Schmidt, Chefkorrespondent für Digitale Wirtschaft beim Nachrichtenmagazin Focus, glauben, dass die Generation der Digital Natives hierzulande zunehmend wichtiger wird – etwa als Manager etablierter Unternehmen oder Gründer von Startups. Die Autoren beschäftigen sich in Deutschland 4.0 – Wie die Digitale Transformation gelingt mit den möglichen Perspektiven für eine nationalen Digitalwirtschaft. In dem kurzweiligen Sachbuch geben sie eine Analyse der Rahmenbedingungen eines digitalen Wandels unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit, beleuchten die aktuellen Gegebenheiten und listen schlussendlich 25 Hinweise hinsichtlich vermeintlich notwendiger Veränderungen für die Zukunft.
Drohnen, 3D-Druck, Künstliche Intelligenz, Roboter, selbstfahrende Autos, Sensoren und Big Data sind Schlagworte, die technischen Fortschritt für Unternehmen in verschiedenen Disziplinen andeuten. Internetfähige Wearables wie Fitnessarmbänder oder Smartwatches kommen immer mehr in Mode. Kollmann und Schmidt beleuchten die Chancen dieser Entwicklungen für die Wirtschaft hierzulande. Sie prognostizieren die Auflösung klassischer Branchengrenzen. Einiges klingt beängstigend: Logistik- und Bankangestellte, Chauffeure, Busfahrer, Kassierer, Buchhalter, Makler, Call-Center-Mitarbeitende, Kundenberater, Bibliothekare, Verkehrspolizisten und Piloten könnten in naher Zukunft mindestens zu großen Teilen durch digitale Roboter ersetzt werden, so die Autoren. Smart Glasses könnten in zehn Jahren das Smartphone als Kommunikationsmittel ablösen.
Die Autoren bemängeln eine allgemeine Technikskepsis in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA: „Google (Alphabet) arbeitet schon heute an Produkten für die Automobil-, Medizin- und Energieindustrie. Facebook und andere Startups bereiten weltweite Finanzprodukte vor, die auch für die heimische Versicherungs- und Finanzbranche zum Problem werden könnten.“(S. 24) Insbesondere der Datenschutz verhindere hierzulande zuoft ein wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell. So verzögern etwa erhöhte Datenschutzanforderungen die Digitalisierung des Gesundheitswesens durch beispielsweise die elektronische Gesundheitskarte. Leider beschäftigen sich Kollmann und Schmidt hier weniger mit dem demokratischen System hierzulande und lassen auch eine politische Würdigung des Datenschutzes vermissen. Wissenschaftler aus Deutschland wandern oft zu Google oder Facebook ab, weil es dort bessere Arbeitsbedingungen gibt.
Als Fehler der Vergangenheit listen die Autoren einige vielversprechende Online-Entwicklungen aus Deutschland, die aufgrund von mangelnder Risikobereitschaft oder Unentschlossenheit in entscheidenden Phasen nicht mehr weiterverfolgt wurden; so etwa die bereits 1997 vom Verlag Gruner + Jahr entworfene Suchmaschine Fireball, das Online-Portal T-Online von der Deutschen Telekom oder das soziale Netzwerk StudiVZ. Heute zählen überwiegend amerikanische Firmen wie Google, Facebook oder Amazon zu den umsatzstärksten Internet-Unternehmen in Deutschland. Kollmann und Schmidt bedauern, dass kein Global Player der digitalen Welt aus Deutschland kommt und sehen hier auch für die Zukunft ein großes wirtschaftliches Problem für Deutschland.
Die Autoren fordern flachere Hierarchien und besser verteilte Kompetenzen in IT-Unternehmen hierzulande, ein eigenständiges "Ministerium für Digitales" in Berlin und das Fach "Digitalkunde" und "Programmierung" als zweite Fremdsprache im schulischen Ausbildungssystem. Insbesondere auch Verweise auf das vielfach erprobte Plattformmodell großer Web-Firmen, auf das maschinelle Lernen oder Selbstfahrfunktionen per Software-Updates sind spannend und unterhaltsam.
Einige Sätze klingen jedoch etwas schulmeisterlich direkt zuordnend, wie: „Der Roboter ist der Freund des Menschen, nicht sein Feind.“ (S. 47) Deutschland 4.0 liest sich passagenweise auch wie Forderungen und Slogans einer liberalen, arbeitgeberfreundlichen FDP an die Regierung hinsichtlich mehr Unterstützung für mehr Weltmarktkraft in der digitalen Wirtschaft. So verwundert es nicht, dass Autor Tobias Kollmann auch in einem Interview mit dem Handelsblatt 2017 betont, dass die FDP das Thema Digitalisierung von allen Parteien am besten „auf dem Schirm“ habe, obwohl das Buch neben Jimmy Schulz (FDP) auf Seite 119 auch die Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär (CSU), Saskia Esken (SPD), Thomas Jarzombek (CDU), Lars Klingbeil (SPD), Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/ Die Grünen) und Nadine Schön (CDU) als rare digitale Know-how-Träger für die Netzpolitik auf Landesebene nennt. Es ist für die zahlreichen engagierten Digitalparadigmen im Buch wahrscheinlich schade, dass die Freie Demokratische Partei dann mit der CDU/CSU und den Grünen 2017 doch keine Regierung bilden wollte. Einen ausgewogeneren Eindruck von den Chancen und Folgen kommender technischer Innovationen hierzulande gewinnt man wahrscheinlich, wenn man sich zusätzlich auch kritischere Stimmen zu Gemüte führt. Jüngere Sachbuchpublikationen wie Ranga Yogeshwars Nächste Ausfahrt Zukunft fokussieren auch mögliche Risiken neuer digitaler Entwicklungen für die Bürger detaillierter und deutlicher, als dies beim recht einseitig fortschrittsgläubigen Deutschland 4.0 – Wie die digitale Transformation gelingt noch der Fall ist.
Ansgar Skoda - 8. Februar 2018 ID 10508
Siehe auch:
http://www.springer.com/de/book/9783658119812
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