18. Jüdische Musik- und Theaterwoche Dresden
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Der depressive Komiker
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Bewertung:
Mit ziemlicher Sicherheit hat Oliver Polak ein spannendes, ehrliches, unterhaltsames und wichtiges Buch über seine Depression geschrieben und seine Geschichte dabei in scharfzüngige Schilderungen des deutschen Alltags gehüllt. Allein in seiner Lesung [aus Der jüdische Patient] war nur wenig zu spüren davon.
Dabei begann alles sehr ambitioniert: Überlaute Blumfeld-Musik als Vorprogramm, dann ein Udo Jürgens-Chanson zum Einstieg („Hautnah“, leider keines des besseren), sogar Bühnennebel…
Für den Start seiner Lesereise hatte sich der Autor erkennbar viel vorgenommen. Entsprechend aufgeregt schien er auch, was die Anmoderation reichlich gehemmt wirken ließ, seltsam für einen Komödianten seiner Bühnenerfahrung. Und unnötige Leseschwächen offenbarte er auch bei seinem eigenen Text.
Eine Lesung ist nun mal etwas, wo einer – gewöhnlich der Autor – einen zuvor geschriebenen und meist auch schon in Buchform veröffentlichten Text vorträgt, in Auszügen, aber mit großer Werktreue. Insofern unterscheidet sie sich deutlich von einer Stand-up-Comedy, lässt sich aber besser proben. Dies unterblieb offensichtlich, und so ging viel vom Inhalt in den Haspeleien des Vorlesers verloren. Und ob die gewählten Ausschnitte (die man im Buch übrigens vorher mit Klebefähnchen markieren kann, damit man sie besser findet) wirklich optimal für die Vorstellung des Buches waren, sei dahingestellt. Zumindest an den Überleitungstexten sollte Polak noch feilen, damit die Geschichte verständlich bleibt.
Verdient hätte sie es. Da schreibt einer, der den Deutschen bislang den satirischen Satan machte, sehr offen über seine depressive Erkrankung, über deren schleichende Ankunft, die lange Zeit des Gar-nichts-tun-Könnens, über den mühsamen Weg, sich Hilfe zu holen und den langen Prozess der Heilung, wenn man das Erreichen der optimalen medikamentösen Einstellung so nennen will. Auch wenn Depression inzwischen nicht mehr zu den großen Tabu-Themen gehört, seitdem ein deutscher Fußball-Torhüter an dieser Krankheit starb, ist ein solches Buch aller Ehren wert, zumal es ohne großes Pathos, sondern mit Humor geschrieben zu sein scheint und auch die Welt außerhalb der Klinik mit Ironie behandelt. Polak bleibt dabei seinem ersten Buchtitel Ich darf das, ich bin Jude treu und seziert messerscharf das deutsche Bewusstsein zwischen Scham und Verdrängung.
Dennoch darf man kritisch anmerken, dass einige der Sprachbilder nur gemäßigt witzig sind, die zahlreichen englischen Floskeln im Text jenen oftmals sehr bemüht klingen lassen und das fortdauernde product placement (nicht nur für einen großen Kaffeeausschank und den führenden Unterhaltungselektroniker) eine kostenlose Verteilung des Buches nahelegt. So verzichtete der Berichterstatter auf den Erwerb des Werks und kann seine Vermutungen somit nicht weiter untersetzen.
Die anschließende Fragerunde trug auch nicht viel zur Aufhellung bei, immerhin zeigte sie Polaks Qualitäten als Entertainer (er selbst würde das sicher „Rampensau“ nennen, aber dazu bin ich mangels Abstammung nicht legitimiert). Neben Allerweltsfragen gab es immerhin auch zwei besonders dämliche, die eine entsprechend bissige Reaktion des Künstlers nach sich zogen. Aber der brach dann bald das Spiel genervt oder auch gelangweilt ab und trug stattdessen noch eine Sequenz aus dem Buch vor, über den Besuch der Fleischmanns in seinem Papenburger Elternhaus, die meine eingangs geäußerte These vom Wert des Buches erhärtete.
Also: Noch ein wenig an den Zwischentexten gefeilt, die Nebelmätzchen und die bezugslose Musikeinspielung gestrichen, bisschen Lesen geübt, dann wird das eine durchaus empfehlenswerte Veranstaltung. Termine und alles Weitere findet man auf oliverpolak.de.
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(C) Verlag Kiepenheuer und Witsch
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Sandro Zimmermann - 29. Oktober 2014 ID 8207
Oliver Polak | Der jüdische Patient
240 Seiten, Taschenbuch
9,99 € (D) | 14,50 sFr | 10,30 € (A)
Kiwi 1414
ISBN: 978-3-462-04704-2
Weitere Infos siehe auch: http://juedische-woche-dresden.de
Post an Sandro Zimmermann
teichelmauke.me
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