Facetten eines
Verbrechens
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Bewertung:
Wir lernen sie alle aus der Ich-Perspektive kennen: den Mörder, das Opfer, seine Geliebte, die Denunziantin - und sogar den Bauern, der das Opfer, natürlich noch zu dessen Lebzeiten, nach einem Unfall versorgt. Die Idee ist zunächst bestechend. Der Insiderblick, der Verständnis schaffen will für die Besonderheiten dieses Verbrechens, wird aus verschiedenen Perspektiven ermöglicht. Da ist der Berufssoldat Feldwebel Holzer, der zum Jähzorn neigt, gerne säuft und ein Bordell besucht und klischeehaft das Negativbild eines Bundeswehrangehörigen erfüllt.
Seine hübsche aber etwas langweilige Frau Sabine tröstet sich mit dem Nachbarn Thomas. Das ist besonders einfach, da ihr Mann nur am Wochenende zu Hause ist und sie so „sturmfreie Bude“ hat. Doch sie hat die Rechnung ohne ihre missgünstige und frustrierte Kollegin Müller in der Sparkasse gemacht, und so erfährt Feldwebel Holzer, was seine Frau Sabine in seiner Abwesenheit angeblich so alles treibt.
Thomas, der Nachbar und Liebhaber, ist ein junger, naiver und schwer verliebter Motoradfahrer, den seine Hormone unaufmerksam machen und der so aus einer Kurve fliegt. Ein Bauer, der seinen Sohn bei einem Motorradunfall verloren hat, findet den Verunglückten, kümmert sich um ihn und lässt das eigene Leid noch einmal Revue passieren.
Das sind die Ich-Erzähler im Roman, dazu lernen wir noch die trinkfreudigen Bundeswehrkollegen des Feldwebels, einige Freundinnen seiner Frau Sabine, einen Freund des Motorradfahrers und natürlich den Kommissar nebst Untergebenen kennen. Die Welt ist übersichtlich in diesem Krimi, wie es auch für das Dorf nahe der französischen Grenze gilt, in dem die Handlung angesiedelt ist.
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Obwohl der Leser sehr schnell weiß, wer der Mörder ist, bleibt Reue von Sascha Berst-Frediani trotzdem spannend zu lesen. Wer weiß was, wer denunziert wen, fast wie bei einem Krimispiel, bei dem der Mörder mit Indizien überführt werden soll.
Leider bleiben die handelnden Personen jedoch blass und in ihren Reaktionen wenig überzeugend. So eilt Sabine nach dem Unfall ihres Geliebten zum Unfallort, tröstet ihn und fährt ihn nach Hause. Dort nutzt das Paar erst einmal die Gelegenheit zum Beischlaf:
"Es war das Leben selbst, das sich in ihm aufbäumte und Bahn brach; nichts und niemand hätte ihm in dem Moment wiederstehen können. Halb angezogen noch nahm sie ihn in sich auf, sah ihm in die Augen, küsste seinen Mund, umschlang ihn mit Armen und Beinen. Und plötzlich dachte sie an ein Kind; ein Kind von Thomas, das in ihr reifen und das sie zur Welt bringen könnte. Und als sie das dachte, liebte sie ihn noch mehr als sonst, ja, mehr als sie konnte, denn die Idee eines Kindes führte sie über sich selbst hinaus Und sie dachte: Ach, mein Thomas!" (S. 63)
Nach diesem fast kitschigen Gefühlsausbruch schwört Sabine sogar ihren Mann zu verlassen. Damit scheinen für die Frau alle Sorgen gelöst zu sein. Sie geht abends mit einem Vorgesetzten aus und ist verärgert, als sie ihren Geliebten danach nicht in seiner Wohnung antrifft. Tatsächlich vermutet sie schon bald, dass er sie wohl verlassen hätte anstatt mögliche Unfallkomplikationen in Betracht zu ziehen.
Die Personen und ihre Gedanken sind sehr eingleisig in diesem Buch. Passend dazu tragen sie Allerweltsnamen, die keine Ecken und Kanten erwarten lassen. Täter und Opfer, Geliebte und Kollegin - sie alle reagieren vorhersehbar, und für den Leser liefert auch der Blick in die Psychen der Handelnden nur wenig interessante Details. So verpufft die eigentlich gute Idee, denn das Buch hätte Platz gehabt für psychologische Tiefgänge.
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Ellen Norten - 25. Februar 2018 ID 10553
Link zum Buch: http://www.gmeiner-verlag.de/programm/titel/1752-reue.html
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